Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 90/313/EWG. Freier Zugang zu Informationen über die Umwelt. Antrag auf Zugang zu Informationen. Begründungspflicht bei Ablehnung. Zwingende Frist. Schweigen einer Behörde während der Antwortfrist. Stillschweigende Ablehnung. Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz
Beteiligte
Délégués du conseil de la Région de Bruxelles-Capitale |
Société de développement régional de Bruxelles (SDRB) |
Batipont Immobilier SA (BPI) |
Immomills Louis de Waele Development SA (ILDWD) |
Tenor
1. Die in Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vorgesehene Zweimonatsfrist ist eine zwingende Frist.
2. Der in Artikel 4 der Richtlinie 90/313 genannte Bescheid, der von demjenigen, der das Informationsersuchen eingereicht hat, auf dem Gerichts- oder Verwaltungsweg angefochten werden kann, ist die stillschweigende Ablehnungsentscheidung, die sich aus dem zweimonatigen Schweigen der für die Entscheidung über den Antrag zuständigen Behörde ergibt.
3. Artikel 3 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 4 der Richtlinie 90/313 steht in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der zur Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes das zweimonatige Schweigen der Behörde als stillschweigende Ablehnungsentscheidung gilt, die auf dem Gerichts- oder Verwaltungsweg gemäß der einzelstaatlichen Rechtsordnung angefochten werden kann. Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie verbietet es jedoch, dass eine solche Entscheidung zum Zeitpunkt des Ablaufs der Zweimonatsfrist nicht mit einer Begründung versehen ist. Unter diesen Umständen ist die stillschweigende Ablehnungsentscheidung als rechtswidrig anzusehen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Conseil d'État (Belgien) mit Entscheidung vom 1. April 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2004, in dem Verfahren
Pierre Housieaux
gegen
Délégués du conseil de la Région de Bruxelles-Capitale,
Beteiligte:
Société de développement régional de Bruxelles (SDRB),
Batipont Immobilier SA (BPI),
Immomills Louis de Waele Development SA (ILDWD)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta und der Richter P. Kuris, G. Arestis und J. Klucka (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Pierre Housieaux, vertreten durch J. Sambon und P. Reyniers, avocats,
- der Délégués du conseil de la Région de Bruxelles-Capitale, vertreten durch P. Coenraets und C. Lepinois, avocats,
- der Société de développement régional de Bruxelles (SDRB), vertreten durch F. Krenc und P. Lambert, avocats,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch U. Wölker und F. Simonetti als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. Januar 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 3 Absatz 4 und 4 der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (ABl. L 158, S. 56).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Housieaux und dem Collège des délégués du conseil de la Région Bruxelles-Capitale (Kollegium der Beauftragten des Rates der Region Brüssel-Hauptstadt; im Folgenden: Collège) über eine Entscheidung dieses Collège hinsichtlich des Zugangs zu Dokumenten im Zusammenhang mit einem Vertrag über städtebauliche Maßnahmen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 90/313 bestimmt:
„Vorbehaltlich der Absätze 2, 3 und 4 gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Behörden verpflichtet werden, allen natürlichen oder juristischen Personen auf Antrag ohne Nachweis eines Interesses Informationen über die Umwelt zur Verfügung zu stellen.
Die Mitgliedstaaten legen die praktischen Regeln fest, nach denen derartige Informationen tatsächlich zugänglich gemacht werden.”
4 Artikel 3 Absätze 2 und 3 der Richtlinie zählt die Gründe auf, die die Ablehnung eines Informationsersuchens rechtfertigen können.
5 Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie lautet:
„Eine Behörde erteilt dem Antragsteller so bald wie möglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Monaten eine Antwort. Die Ablehnung eines Antrags auf Information ist zu begründen.”
6 Artikel 4 der Richtlinie bestimmt:
„Eine Person, die der Ansicht ist, dass ihr Informationsersuchen zu Unrecht abgelehnt oder nicht beachtet worden ist, oder die von einer Behörde eine unzulängliche Antwort erhalten hat, kann den Bescheid auf dem Gerichts- oder Verwaltungsweg gemäß der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsordnung anfechten.”
Nationales Recht
7 Mit Verordnung vom 29. August 1991 über den Zuga...