Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Vorsteuerabzug. Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Verspäteter Registrierungsantrag. Ausstellung und Inhalt von Rechnungen. Rechnung, in der die Vorsteuer nicht ausgewiesen ist. Auf der Grundlage eines Protokolls berechnete Steuer. Fehlen einer berichtigenden Rechnung. Recht auf Vorsteuerabzug. Ausschluss
Normenkette
EGRL 112/2006
Beteiligte
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite |
Verfahrensgang
Administrativen sad Varna (Bulgarien) (ABl. EU 8.1.2024, Nr. C/2024/533) |
Tenor
1. Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der dem Empfänger einer mehrwertsteuerpflichtigen Lieferung das in dieser Richtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug nicht zusteht, wenn der Lieferer zum einen gegen seine Verpflichtung aus der nationalen Regelung verstoßen hat, einen Antrag auf mehrwertsteuerliche Registrierung zu stellen, und an den Empfänger Rechnungen ausgestellt hat, in denen die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen wurde, und zum anderen im Zuge einer Steuerprüfung ein Protokoll erstellt hat, in dem die betreffende Mehrwertsteuer ausgewiesen und der Lieferer zugleich als Empfänger der Lieferung angegeben wurde.
2. Die Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung und der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer
sind dahin auszulegen, dass
sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die die Möglichkeit ausschließt, eine Rechnung zu berichtigen, wenn zum einen in der Rechnung, die der Lieferer dem Empfänger einer mehrwertsteuerpflichtigen Lieferung ausgestellt hat, die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen wurde und zum anderen der Lieferer im Zuge einer bei ihm durchgeführten Steuerprüfung ein Protokoll erstellt hat, in dem die Mehrwertsteuer ausgewiesen und der Lieferer zugleich als Empfänger der Lieferung angegeben wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) mit Entscheidung vom 27. September 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2023, in dem Verfahren
”SEM Remont” EOOD
gegen
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer F. Biltgen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Siebten Kammer, der Präsidentin der Fünften Kammer M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) und des Richters J. Passer,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der „SEM Remont” EOOD, vertreten durch A. Bochu, M. Gouraud und B. Le Bret, Avocats,
- des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, vertreten durch D. Zhelyazkov,
- der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova und T. Tsingileva als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Drambozova und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „SEM Remont” EOOD und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis” Varna bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien) wegen der Weigerung, dieser Gesellschaft das Recht auf Vorsteuerabzug zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.”
Rz. 4
Art. 167 dieser Richtlinie bestimmt:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”
Rz. 5
In Art. 168 der Richtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und D...