Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union. Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95. Art. 3. Strukturfonds. Verordnung (EWG) Nr. 2052/88. Verordnung (EWG) Nr. 4253/88. Öffentlicher Auftraggeber, der einen Zuschuss aus den Strukturfonds erhält. Nichteinhaltung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch den Empfänger eines EFRE-Zuschusses. Grundlage für die Verpflichtung, einen Zuschuss der Union im Fall von Unregelmäßigkeiten zurückzufordern. Begriff ‚Unregelmäßigkeit’. Begriff ‚andauernde Unregelmäßigkeit’. Rückforderungsmodalitäten. Verjährungsfrist. Längere nationale Verjährungsfristen. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Beteiligte
Chambre de commerce und d'industrie de l'Indre |
Ministre de l'Intérieur, de l'Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l'Immigration |
Chambre de commerce et d'industrie de l'Indre |
Tenor
1. Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Entwicklungsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2081/93 des Rates vom 20. Juli 1993 geänderten Fassung stellt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Rechtsgrundlage dar, die es den nationalen Behörden – ohne dass es einer Ermächtigung durch das nationale Recht bedarf – ermöglicht, einen im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gewährten Zuschuss in seiner Gesamtheit vom Begünstigten mit der Begründung zurückzufordern, dass dieser in seiner Eigenschaft als „öffentlicher Auftraggeber” im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der durch die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung die Vorschriften dieser Richtlinie über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zur Durchführung einer Aktion, für die er diesen Zuschuss erhalten hat, missachtet hat.
2. Es stellt eine „Unregelmäßigkeit” im Sinne von Art. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften dar, wenn der öffentliche Auftraggeber, dem ein EFRE-Zuschuss gewährt wurde, bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung missachtet; dies gilt auch dann, wenn die zuständige nationale Behörde zum Zeitpunkt der Gewährung dieses Zuschusses wissen musste, dass der Begünstigte bereits darüber entschieden hatte, wen er mit der Durchführung der bezuschussten Aktion beauftragen würde.
3. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem der Empfänger eines EFRE-Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet hat,
- ist die in Rede stehende Unregelmäßigkeit als eine „andauernde Unregelmäßigkeit” im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 anzusehen, so dass die dort für die Rückforderung des dem Begünstigten rechtswidrig gezahlten Zuschusses vorgesehene vierjährige Verjährungsfrist am Tag der Beendigung der Ausführung des rechtswidrig vergebenen öffentlichen Auftrags beginnt;
- stellt die Übermittlung eines Kontrollberichts, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird, an den Zuschussempfänger eine hinreichend bestimmte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 dar.
4. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwehrt es den Mitgliedstaaten, im Rahmen der ihnen nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eingeräumten Befugnis auf die Rückforderung eines rechtswidrig aus dem Unionshaushalt erlangten Vorteils eine 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 5. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 27. September 2010, in dem V...