Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Außenbeziehungen. Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko über Liberalisierungsmaßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei. Beschluss, mit dem der Abschluss einer internationalen Übereinkunft genehmigt wird. Nichtigkeitsklage. Zulässigkeit. Klagebefugnis. Räumlicher Geltungsbereich des Abkommens. Auslegung des Abkommens. Grundsatz der Selbstbestimmung. Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen
Beteiligte
Rat der Europäischen Union |
Front populaire pour la libération de la saguia-el-hamra und du rio de oro (Front Polisario) |
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 10. Dezember 2015, Front Polisario/Rat (T-512/12, EU:T:2015:953), wird aufgehoben.
2. Die Klage des Front populaire pour la libération de la saguia-el-hamra et du rio de oro (Front Polisario) wird als unzulässig abgewiesen.
3. Der Front populaire pour la libération de la saguia-el-hamra et du rio de oro (Front Polisario) trägt seine eigenen Kosten und die Kosten des Rates der Europäischen Union.
4. Das Königreich Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Portugiesische Republik, die Europäische Kommission und die Confédération marocaine de l'agriculture et du développement rural (Comader) tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 19. Februar 2016,
Rat der Europäischen Union, vertreten durch H. Legal, A. de Elera-San Miguel Hurtado und A. Westerhof Löfflerová als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführer,
unterstützt durch:
Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,
Königreich Spanien, vertreten durch M. Sampol Pucurull und S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
Französische Republik, vertreten durch F. Alabrune, G. de Bergues, D. Colas, F. Fize und B. Fodda als Bevollmächtigte,
Portugiesische Republik, vertreten durch L. Inez Fernandes und M. Figueiredo als Bevollmächtigte,
Confédération marocaine de l'agriculture et du développement rural (Comader), vertreten durch J.-F. Bellis, M. Struys, A. Bailleux, L. Eskenazi und R. Hicheri, avocats,
Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,
andere Parteien des Verfahrens:
Front populaire pour la libération de la saguia-el-hamra und du rio de oro (Front Polisario), vertreten durch G. Devers, avocat,
Beklagter im ersten Rechtszug,
Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre, E. Paasivirta und B. Eggers als Bevollmächtigte,
Streithelferin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und J. L. da Cruz Vilaça, der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), E. Levits, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter C. G. Fernlund, C. Vajda, S. Rodin und F. Biltgen sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2016,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. September 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit seinem Rechtsmittel begehrt der Rat der Europäischen Union die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 10. Dezember 2015, Front Polisario/Rat (T-512/12, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:953), mit dem der Klage des Front populaire pour la libération de la saguia-el-hamra et du rio de oro (Front Polisario) auf teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses 2012/497/EU des Rates vom 8. März 2012 zum Abschluss des Abkommens in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko mit Maßnahmen zur gegenseitigen Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen, Fisch und Fischereierzeugnissen, zur Ersetzung der Protokolle Nrn. 1, 2 und 3 und ihrer Anhänge sowie zur Änderung des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. 2012, L 241, S. 2, im Folgenden: streitiger Beschluss) stattgegeben wurde.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Charta der Vereinten Nationen
Rz. 2
Art. 1 der am 26. Juni 1945 in San Francisco unterzeichneten Charta der Vereinten Nationen bestimmt:
„Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
…
(2) freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;
…”
Rz. 3
In Kapitel XI „Erklärung ü...