Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges Eigentum. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Verbreitungsrecht. Erschöpfungsregel. Begriff ‚Gegenstand’. Übertragung der Abbildung eines geschützten Werks von einem Papierposter auf eine Leinwand. Ersetzung des Trägers. Auswirkung auf die Erschöpfung
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 4
Beteiligte
Art & Allposters International |
Art & Allposters International BV |
Tenor
Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Regel der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht anwendbar ist, wenn das Trägermedium einer in der Europäischen Union mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebrachten Reproduktion eines geschützten Werks, etwa durch Übertragung der Reproduktion von einem Papierposter auf eine Leinwand, ersetzt und sie in ihrer neuen Form erneut in Verkehr gebracht wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 12. Juli 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 2013, in dem Verfahren
Art & Allposters International BV
gegen
Stichting Pictoright
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Richters M. Safjan und der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Art & Allposters International BV, vertreten durch T. Cohen Jehoram und P. N. A. M. Claassen, advocaten,
- der Stichting Pictoright, vertreten durch M. van Heezik, A. M. van Aerde und E. J. Hengeveld, advocaten,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F.-X. Bréchot als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von N. Saunders, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und F. Wilman als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. September 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Art & Allposters International BV (im Folgenden: Allposters) und der Stichting Pictoright (im Folgenden: Pictoright) wegen einer Verletzung der von Pictoright verwerteten Urheberrechte, die Allposters durch die Übertragung von Abbildungen geschützter Werke von Papierpostern auf eine Leinwand und den Verkauf der Bilder auf diesem neuen Träger begangen haben soll.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
WIPO-Urheberrechtsvertrag
Rz. 3
Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag an. Dieser Vertrag wurde im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. L 89, S. 6) genehmigt.
Rz. 4
Nach Art. 1 Abs. 4 des WIPO-Urheberrechtsvertrags müssen die Vertragsparteien den Art. 1 bis 21 und dem Anhang der am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in ihrer am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft) nachkommen.
Rz. 5
Art. 6 („Verbreitungsrecht”) des WIPO-Urheberrechtsvertrags bestimmt:
„(1) Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
(2) Dieser Vertrag berührt nicht die Freiheit der Vertragsparteien, gegebenenfalls zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sich das Recht nach Absatz 1 nach dem ersten mit Erlaubnis des Urhebers erfolgten Verkauf des Originals oder eines Vervielfältigungsstücks oder der ersten sonstigen Eigentumsübertragung erschöpft.”
Berner Übereinkunft
Rz. 6
Art. 12 („Recht auf Bearbeitungen, Arrangements und andere Umarbeitungen”) der Berner Übereinkunft bestimmt:
„Die Urheber von Werken der Literatur oder Kunst genießen das ausschließliche Recht, Bearbeitungen, Arrangements und andere Umarbeitungen ihrer Werke zu erlauben.”
Unionsrecht
Rz. 7
In den Erwägungsgründen 9, 10, 28 und 31 der Richtlinie 2001/29 heiß...