Entscheidungsstichwort (Thema)

Freizügigkeit. Ausweisungsverfügung. Strafrechtliche Verurteilung. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit

 

Normenkette

Richtlinie 2004/38/EG Art. 28 Abs. 3 Buchst. a

 

Beteiligte

I

P. I

Oberbürgermeisterin der Stadt Remscheid

 

Tenor

Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen gemäß Art. 28 Abs. 3 eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist; dies ist vom vorlegenden Gericht auf der Grundlage einer individuellen Prüfung des konkreten Falles, mit dem es befasst ist, zu klären.

Jede Ausweisungsverfügung setzt voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten. Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, hat er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet dieses Staates, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in diesem Staat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. August 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 31. August 2009, in dem Verfahren

P. I.

gegen

Oberbürgermeisterin der Stadt Remscheid

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts, J.-C. Bonichot und U. Lõhmus, der Richter A. Rosas, E. Levits, A. Ó Caoimh, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und A. Arabadjiev sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn I., vertreten durch die Rechtsanwälte G. L. Pagliaro und A. Caramazza,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,
  • der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,
  • der irischen Regierung, vertreten durch D. O'Hagan und J. Kenny als Bevollmächtigte im Beistand von D. Conlan Smyth, Barrister,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. März 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn I., einem italienischen Staatsangehörigen, und der Oberbürgermeisterin der Stadt Remscheid (Deutschland) wegen der Entscheidung der Oberbürgermeisterin, mit der der Verlust des Rechts von Herrn I., in das deutsche Hoheitsgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, festgestellt und ihm...

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