Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Personal der Europäischen Zentralbank (EZB). Übertragung der in einem nationalen Versorgungssystem erworbenen Rentenansprüche auf das Versorgungssystem der EZB. Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Beschäftigungsbedingungen der EZB. Fehlen innerstaatlicher Rechtsvorschriften oder eines Abkommens zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und der EZB
Normenkette
EUV Art. 4 Abs. 3; EUV Anhang IIIa; EUV Art. 8
Beteiligte
INPS und Repubblica italiana |
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) |
Tenor
1. Die Art. 45 und 48 AEUV, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Union sowie Anhang IIIa Art. 8 Buchst. a des Beschlusses der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 9. Juni 1998 über die Verabschiedung der Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank in der geänderten Fassung vom 31. März 1999
sind dahin auszulegen, dass
sie, wenn zwischen der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem betreffenden Mitgliedstaat kein Abkommen geschlossen wurde, einer Regelung oder Verwaltungspraxis dieses Mitgliedstaats, die es einem Mitarbeiter der EZB nicht gestattet, einen Betrag, der den von ihm im Versorgungssystem dieses Mitgliedstaats erworbenen Rentenansprüchen entspricht, auf das Versorgungssystem der EZB zu übertragen, nicht entgegenstehen.
Art. 4 Abs. 3 EUV verlangt jedoch gemäß dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, dass ein Mitgliedstaat, dem die EZB den Abschluss eines Abkommens im Sinne von Anhang IIIa Art. 8 Buchst. a über die Übertragung der von ihren Mitarbeitern im Versorgungssystem dieses Mitgliedstaats erworbenen Rentenansprüche auf das Versorgungssystem der EZB vorschlägt, sich aktiv und nach Treu und Glauben an den auf den Abschluss eines solchen Abkommens mit der EZB abzielenden Verhandlungen beteiligt, nachdem diese aufgenommen wurden.
2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es das von einem Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank (EZB) angerufene Gericht eines Mitgliedstaats nicht dazu ermächtigt, die Übertragung der vom Betroffenen im Versorgungssystem dieses Mitgliedstaats erworbenen Rentenansprüche auf das Versorgungssystem der EZB anzuordnen, wenn es weder eine Vorschrift des nationalen Rechts noch ein Abkommen zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und der EZB gibt, die eine solche Übertragung vorsehen. Wenn es aber wegen des Verstoßes dieses Mitgliedstaats gegen seine aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit folgende Verpflichtung, sich aktiv und nach Treu und Glauben an den auf den Abschluss eines Abkommens über die Übertragung von Rentenansprüchen abzielenden Verhandlungen mit der EZB zu beteiligen, diesem Mitarbeiter der EZB unmöglich ist, die von ihm im Versorgungssystem des Mitgliedstaats erworbenen Rentenansprüche auf das Versorgungssystem der EZB übertragen zu lassen, verlangt diese Bestimmung, dass ein solches Gericht alle in den anwendbaren nationalen Verfahrensvorschriften vorgesehenen Maßnahmen ergreift, um sicherzustellen, dass die zuständige nationale Behörde dieser Verpflichtung nachkommt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale ordinario di Asti (Ordentliches Gericht Asti, Italien) mit Entscheidung vom 13. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juni 2021, in dem Verfahren
WP
gegen
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS),
Repubblica italiana
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von WP, vertreten durch A. Dal Ferro, R. Ponchione, A. Rela und C. Zerbaro, Avvocati,
- des Istituto nazionale della previdenza sociale, vertreten durch A. Coretti, C. d'Aloisio und L. Maritato, Avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Rocchitta, Avvocato dello Stato,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, L. Barroso, S. Jaulino und J. Ramos als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Delaude, G. Gattinara, B.-R. Killmann und B. Mongin als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Zentralbank (EZB), vertreten durch B. Ehlers, F. Malfrère, A. Pizzolla und C. Zilioli als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV, der Art. 45 und 48 AEUV, von Anhan...