Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Kartell. Arzneimittel. Angaben zu den Risiken, die mit der Anwendung eines Arzneimittels für eine Behandlung verbunden sind, die nicht von der Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels gedeckt ist (off-label). Definition des relevanten Marktes. Nebenabrede. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Freistellung

 

Normenkette

AEUV Art. 101; Verordnung (EG) Nr. 726/2004; Richtlinie 2001/83/EG

 

Beteiligte

F. Hoffmann-La Roche u.a

Novartis AG

F. Hoffmann-La Roche Ltd

Roche SpA

Novartis Farma SpA

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

 

Tenor

1. Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Wettbewerbsbehörde für die Zwecke der Anwendung dieses Artikels in den relevanten Markt außer den für die Behandlung der betreffenden Erkrankungen zugelassenen Arzneimitteln ein anderes Arzneimittel einbeziehen kann, dessen Genehmigung für das Inverkehrbringen eine solche Behandlung nicht deckt, das aber zu diesem Zweck eingesetzt wird und so in einem konkreten Substituierbarkeitsverhältnis zu den erstgenannten Arzneimitteln steht. Für die Feststellung, ob ein solches Substituierbarkeitsverhältnis besteht, muss die Wettbewerbsbehörde, sofern eine Prüfung der Konformität des in Rede stehenden Erzeugnisses mit den für seine Herstellung oder Vermarktung geltenden Vorschriften seitens der hierfür zuständigen Behörden oder Gerichte stattgefunden hat, das Ergebnis dieser Prüfung berücksichtigen, indem sie beurteilt, wie es sich möglicherweise auf die Struktur von Nachfrage und Angebot auswirkt.

2. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Absprache zwischen den Parteien einer die Verwertung eines Arzneimittels betreffenden Lizenzvereinbarung, die, um den Wettbewerbsdruck auf dieses Arzneimittel bei der Anwendung zur Behandlung bestimmter Erkrankungen zu verringern, darauf abzielt, das Verhalten von Dritten zu beschränken, das darin besteht, die Anwendung eines anderen Arzneimittels für die Behandlung der gleichen Erkrankungen zu fördern, der Anwendung dieser Bestimmung nicht deshalb entzogen ist, weil es sich etwa um eine Nebenabrede zu der Lizenzvereinbarung handelt.

3. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Absprache zwischen zwei Unternehmen, die zwei miteinander in Wettbewerb stehende Arzneimittel vermarkten, über die Verbreitung irreführender Informationen zu den Nebenwirkungen der Anwendung eines dieser Arzneimittel bei nicht von seiner Zulassung gedeckten Indikationen an die Europäische Arzneimittel-Agentur, die Angehörigen der Heilberufe und die Öffentlichkeit in einem Kontext, der durch einen ungesicherten wissenschaftlichen Kenntnisstand gekennzeichnet ist, zu dem Zweck, den Wettbewerbsdruck zu verringern, der sich aus dieser Anwendung für die Anwendung des anderen Arzneimittels ergibt, eine „bezweckte” Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung ist.

4. Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine solche Absprache nicht unter die Freistellung gemäß Abs. 3 dieses Artikels fallen kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 3. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2016, in dem Verfahren

F. Hoffmann-La Roche Ltd,

Roche SpA,

Novartis AG,

Novartis Farma SpA

gegen

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato,

Beteiligte:

Associazione Italiana delle Unità Dedicate Autonome Private di Day Surgery e dei Centri di Chirurgia Ambulatoriale (Aiudapds),

Società Oftalmologica Italiana (SOI) – Associazione Medici Oculisti Italiani (AMOI),

Regione Emilia-Romagna,

Altroconsumo,

Regione Lombardia,

Coordinamento delle associazioni per la tutela dell'ambiente e dei diritti degli utenti e consumatori (Codacons),

Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešic, J. Malenovský, C. G. Fernlund (Berichterstatter) und C. Vajda, der Richter A. Borg Barthet, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der F. Hoffmann-La Roche Ltd, vertreten durch M. Siragusa, P. Merlino und G. Faella, avvocati,
  • der Roche SpA, vertreten durch E. Raffaelli, P. Todaro, A. Raffaelli und E. Teti, avvocati,
  • der Novartis AG und der Novartis Farma SpA, vertreten durch G. B. Origoni della Croce, A. Lirosi, P. Fattori, L. D'Amario und S. Di Stefano, avvocati,
  • der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, vertreten durch P. Gentili, avvocato dello Stato,
  • der Associazione Italiana delle Unità Dedicate Autonome Private di Day Surgery e dei Centri di Chirurgia Ambulatoriale (Aiudapds), vertret...

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