Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln. Versicherungsvertrag. Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln. Ausschluss von Klauseln, die den Hauptgegenstand des Vertrags betreffen. Klausel, die die Übernahme der Zahlungsverpflichtungen aus einem Hypothekendarlehensvertrag garantieren soll. Vollständige Arbeitsunfähigkeit des Darlehensnehmers. Ausschluss von der entsprechenden Garantie bei anerkannter Fähigkeit zur Ausübung einer bezahlten oder unbezahlten Tätigkeit
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 4 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine Klausel, die in einem zur Gewährleistung der Übernahme der gegenüber dem Darlehensgeber bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Fall der vollständigen Arbeitsunfähigkeit des Darlehensnehmers geschlossenen Versicherungsvertrag enthalten ist, nur dann unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme fällt, wenn das vorlegende Gericht Folgendes feststellt:
- zum einen, dass diese Klausel unter Berücksichtigung der Natur, der Systematik und der Bestimmungen des Vertragswerks, zu dem sie gehört, sowie seines rechtlichen und tatsächlichen Kontexts einen Hauptbestandteil des Vertragswerks festlegt, der als solcher dieses Vertragswerk charakterisiert, und
- zum anderen, dass diese Klausel klar und verständlich abgefasst ist, d. h., dass sie für den Verbraucher nicht nur in grammatikalischer Hinsicht nachvollziehbar ist, sondern dass der Vertrag auch die konkrete Funktionsweise des Mechanismus, auf den sich die betreffende Klausel bezieht, und das Verhältnis zwischen diesem und dem durch andere Klauseln vorgeschriebenen Mechanismus in transparenter Weise darstellt, so dass der betroffene Verbraucher in der Lage ist, die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de grande instance de Nímes (Frankreich) mit Entscheidung vom 26. Februar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2014, in dem Verfahren
Jean-Claude Van Hove
gegen
CNP Assurances SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der CNP Assurances SA, vertreten durch P. Woolfson und I. de Seze, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch S. Menez, D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung und M. van Beek als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Van Hove und der CNP Assurances SA (im Folgenden: CNP Assurances) wegen angeblicher Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel eines Versicherungsvertrags, in der die vollständige Arbeitsunfähigkeit definiert wird, und zwar im Hinblick auf die Übernahme der Zahlungsverpflichtungen aus von Herrn Van Hove abgeschlossenen Hypothekendarlehensverträgen durch diese Gesellschaft.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 19 und 20 der Richtlinie 93/13 lauten:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie dürfen Klauseln, die den Hauptgegenstand eines Vertrages oder das Preis-/Leistungsverhältnis der Lieferung bzw. der Dienstleistung beschreiben, nicht als missbräuchlich beurteilt werden. Jedoch können der Hauptgegenstand des Vertrages und das Preis-/Leistungsverhältnis bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit anderer Klauseln berücksichtigt werden. Daraus folgt unter anderem, dass bei Versicherungsverträgen die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des Versicherers deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als missbräuchlich beurteilt werden, sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der vom Verbraucher gezahlten Prämie Berücksichtigung finden.
Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. Der Verbraucher muss tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Im Zweifelsfall ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:
„Zweck dieser Richtlinie ist d...