Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Dienstleistungsverkehr. Vorübergehender Ortswechsel von Arbeitnehmern zur Erfüllung eines Vertrages. Beschränkungen
Beteiligte
Tenor
1. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) schließen es nicht aus, daß ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, vorschreibt, den von ihm entsandten Arbeitnehmern die Mindestvergütung zu zahlen, die in dem im ersten Mitgliedstaat geltenden Tarifvertrag festgelegt ist, sofern die betreffenden Bestimmungen hinreichend genau und zugänglich sind, um einem solchen Arbeitgeber in der Praxis nicht die Feststellung, welche Verpflichtungen er beachten müßte, unmöglich oder übermäßig schwer zu machen.
2. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es aus, daß ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, – auch durch Polizei- und Sicherheitsgesetze – vorschreibt, für jeden entsandten Arbeitnehmer Arbeitgeberbeiträge im Rahmen von Systemen wie den belgischen Schlechtwetter- und Treuemarkensystemen zu entrichten und jedem dieser Arbeitnehmer eine Personalkarte auszuhändigen, obwohl dieses Unternehmen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz der Interessen der Arbeitnehmer, im wesentlichen vergleichbar sind.
3. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es aus, daß ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, – auch durch Polizei- und Sicherheitsgesetze – vorschreibt, Personal- oder Arbeitsunterlagen wie eine Arbeitsordnung, ein besonderes Personalregister und für jeden entsandten Arbeitnehmer ein persönliches Konto in der nach der Regelung des ersten Staates verlangten Form zu erstellen, wenn der soziale Schutz der Arbeitnehmer, der diese Erfordernisse rechtfertigen kann, bereits durch die Vorlage der Personal- und Arbeitsunterlagen gewahrt wird, die das betreffende Unternehmen gemäß der Regelung des Mitgliedstaats, in dem es ansässig ist, führt.
Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen bezüglich der Führung der Personal- und Arbeitsunterlagen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz der Interessen der Arbeitnehmer, mit den in der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats enthaltenen vergleichbar sind.
4. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es nicht aus, daß ein Mitgliedstaat ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, verpflichtet, während des Zeitraums der Betätigung im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats Personal- und Arbeitsunterlagen auf der Baustelle oder an einem anderen zugänglichen und klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet dieses Staates bereitzuhalten, wenn diese Maßnahme erforderlich ist, um ihm eine effektive Kontrolle der Beachtung seiner durch die Wahrung des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigten Regelung zu ermöglichen.
5. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es aus, daß ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, – auch durch Polizei- und Sicherheitsgesetze – vorschreibt, fünf Jahre lang, nachdem es die Beschäftigung von Arbeitnehmern im ersten Mitgliedstaat eingestellt hat, Personalunterlagen wie das Personalregister und das persönliche Konto an dem in diesem Mitgliedstaat gelegenen Wohnsitz einer natürlichen Person aufzubewahren, die diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder Aufsichtsperson führt.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen C-369/96 und C-376/96
betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunal correctionnel Huy (Belgien) in den bei diesem anhängigen Strafverfahren gegen
Jean-Claude Arblade,
Arblade & Fils SARL als zivilrechtlich Haftende (C-369/96)
und
Bernard Leloup,
Serge Leloup,
Sofrage SARL als zivilrechtlich Haftende (C-376/96)
vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward (Berichterstatter) und R. Schintgen sowie der Richter J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen