Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuer, Reisekosten, Reisekostenerstattung durch den Arbeitgeber, gebietsfremder Arbeitnehmer, pauschale Steuerbefreiung einer Reisekostenerstattung bei gebietsfremden Arbeitnehmern
Leitsatz (amtlich)
Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, mit der ein Mitgliedstaat zugunsten von Arbeitnehmern, die vor der Aufnahme einer Beschäftigung in seinem Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, die Gewährung eines Steuervorteils vorsieht, der in der pauschalen Steuerbefreiung einer Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten in Höhe von bis zu 30 % der Bemessungsgrundlage besteht, sofern diese Arbeitnehmer in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats wohnten; es sei denn ‐ was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist ‐, diese Begrenzungen sind so festgelegt worden, dass diese Steuerbefreiung systematisch zu einer deutlichen Überkompensierung der tatsächlich entstandenen extraterritorialen Kosten führt.
Normenkette
AEUV Art. 45
Beteiligte
Staatssecretaris van Financien |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Beschluss vom 09.08.2013; ABl. EU 2013, Nr. C 367/23) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Freizügigkeit der Arbeitnehmer ‐ Art. 45 AEUV ‐ Gleichbehandlung von gebietsfremden Arbeitnehmern ‐ Steuervorteil, der in der Steuerbefreiung von Kostenerstattungen durch den Arbeitgeber liegt ‐ Pauschal gewährter Vorteil ‐ Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beschäftigungsorts ‐ Voraussetzung eines Wohnsitzes in einer bestimmten Entfernung zur Grenze des Mitgliedstaats des Beschäftigungsorts“
In der Rechtssache C-512/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 9. August 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2013, in dem Verfahren
C. G. Sopora
gegen
Staatssecretaris van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vize-Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, L. Bay Larsen und T. von Danwitz, der Richter A. Rosas und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie des Richters C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzlerin: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Herrn Sopora, vertreten durch die Steuerberater P. Kavelaars, J. Schaap und J. Korving,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch M. de Ree und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und J. Enegren als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. November 2014
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Sopora und dem Staatssecretaris van Financiën über die Ablehnung des Antrags von Herrn Sopora auf pauschale Steuerbefreiung einer Kostenerstattung im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung in den Niederlanden.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Nach Art. 31 Abs. 1 des Gesetzes von 1964 über die Lohnsteuer (Wet op de loonbelasting 1964) in der Fassung von 2012 (im Folgenden: Lohnsteuergesetz) gehören bestimmte Kostenerstattungen, die den Arbeitnehmern gezahlt werden, zum steuerpflichtigen Lohn.
Rz. 4
Die Kostenerstattungen sind aber gemäß Art. 31a Abs. 2 Buchst. e des Lohnsteuergesetzes von der Lohnsteuer befreit, wenn sie gewährt werden, um die Zusatzkosten, sogenannte „extraterritoriale Kosten“, auszugleichen, die einem Arbeitnehmer dadurch entstehen, dass er sich während eines Zeitraums von nicht mehr als acht Jahren außerhalb seines Herkunftslands aufhält.
Rz. 5
Die Verordnung vom 17. Mai 1965 zur Durchführung des Lohnsteuergesetzes von 1964 in der durch die Verordnung vom 23. Dezember 2010 geänderten Fassung enthält die Durchführungsvorschriften zu diesem Gesetz, die seit dem 1. Januar 2012 gelten. Sie sieht eine Lohnsteuerbefreiung zugunsten des „eingereisten Arbeitnehmers“ vor, der in Art. 10e Abs. 2 Buchst. b definiert wird als:
„ein … in einem anderen Land angeworbener … Arbeitnehmer …:
1. mit besonderer Sachkunde, die auf dem niederländischen Arbeitsmarkt nicht oder nur spärlich vorhanden ist,
2. der länger als zwei Drittel des Zeitraums von 24 Monaten vor Beginn seiner Beschäftigung in den Niederlanden in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze, mit Ausnahme der niederländischen Hoheitsgewässer und der ausschließlichen Wirtschaftszone des Königreichs gemäß Art. 1 des Gesetzes zur Schaffung einer ausschließ...