Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Hausangestellte. Schutz bei Arbeitslosigkeit. Ausschluss. Besonderer Nachteil für weibliche Beschäftigte. Legitime sozialpolitische Ziele. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Richtlinie 79/7/EWG Art. 4 Abs. 1
Beteiligte
Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS) |
Tenor
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, mit der Leistungen bei Arbeitslosigkeit von Leistungen der sozialen Sicherheit, die Hausangestellten von einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit gewährt werden, ausgenommen werden, sofern diese Bestimmung weibliche Beschäftigte gegenüber männlichen Beschäftigten in besonderer Weise benachteiligt und nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Contencioso-Administrativo nº 2 de Vigo (Verwaltungsgericht Nr. 2 Vigo, Spanien) mit Entscheidung vom 29. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 14. August 2020, in dem Verfahren
CJ
gegen
Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer, der Richter J. Passer und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin) und des Richters N. Wahl,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- von CJ, vertreten durch J. de Cominges Cáceres, Abogado,
- der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS), vertreten durch M. S. Amaya Pilares und E. Ablanedo Reyes, letrados,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez und S. Jiménez García als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Galindo Martín und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. September 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) sowie Art. 5 Buchst. b und Art. 9 Abs. 1 Buchst. e und k der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen CJ und der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS) (Allgemeine Sozialversicherungskasse, Spanien) (im Folgenden: TGSS) wegen eines Antrags von CJ auf Zahlung von Beiträgen zum Schutz gegen das Risiko Arbeitslosigkeit.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 79/7
Rz. 3
Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 79/7 lautet:
„Es ist angezeigt, den Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit in erster Linie bei den gesetzlichen Systemen, die Schutz gegen die Risiken Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall, Berufskrankheit und Arbeitslosigkeit bieten, sowie bei den Sozialhilferegelungen, soweit sie die vorgenannten Systeme ergänzen oder ersetzen sollen, zu verwirklichen.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Diese Richtlinie findet Anwendung
a) auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:
- Krankheit,
- Invalidität,
- Alter
- Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
- Arbeitslosigkeit;
…”
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:
– den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
…”
Richtlinie 2006/54
Rz. 6
In Art. 1 („Gegenstand”) der Richtlinie 2006/54 heißt es:
„Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.
Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf
…
c) betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit.
…”
Rz. 7
Art. 2 („Begriffsbestimmungen”) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne ...