Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Projekten. Erhaltung der natürlichen Lebensräume. Verhältnis zwischen dem Prüfungs- und Genehmigungsverfahren nach Art. 2 der Richtlinie 2011/92/EU und einem nationalen Verfahren für Abweichungen von den in der Richtlinie 92/43/EWG vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz von Arten. Begriff der Genehmigung. Komplexer Entscheidungsprozess. Prüfungspflicht. Sachliche Reichweite. Verfahrensstadium, in dem die Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsprozess gewährleistet sein muss

 

Normenkette

Richtlinie 2011/92/EU; Richtlinie 92/43/EWG

 

Beteiligte

Namur-Est Environnement

Namur-Est Environnement ASBL

Région wallonne

 

Tenor

1. Die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ist dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/92 durchzuführen, unter das Verfahren zur Genehmigung dieses Projekts im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie fällt, wenn einerseits die Durchführung dieses Projekts nicht ohne diese Entscheidung zugunsten des Projektträgers erfolgen kann und andererseits die für die Genehmigung eines solchen Projekts zuständige Behörde die Möglichkeit behält, dessen Umweltauswirkungen strenger zu beurteilen, als dies in der besagten Entscheidung geschehen ist.

2. Die Richtlinie 2011/92 ist unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Art. 6 und 8 dahin auszulegen, dass dem Erlass einer vorab ergehenden Entscheidung, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie durchzuführen, nicht notwendigerweise eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorausgehen muss, sofern die Öffentlichkeitsbeteiligung in effektiver Weise vor dem Erlass der Entscheidung, die von der für die etwaige Genehmigung dieses Projekts zuständigen Behörde zu treffen ist, sichergestellt ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 4. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 24. September 2020, in dem Verfahren

Namur-Est Environnement ASBL

gegen

Région wallonne,

Beteiligte:

Cimenteries CBR SA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer, der Richter J. Passer (Berichterstatter) und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi und des Richters N. Wahl,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Namur-Est Environnement ASBL, vertreten durch J. Sambon, Avocat,
  • der Cimenteries CBR SA, vertreten durch L. de Meeûs und C.-H. Born, Avocats,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Van Regemorter und S. Baeyens als Bevollmächtigte im Beistand von P. Moërynck, Avocat,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes, M. Noll-Ehlers und F. Thiran als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. Oktober 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 2 und 5 bis 8 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Namur-Est Environnement ASBL und der Région wallonne (Wallonische Region, Belgien) über eine Entscheidung, mit der Letztere der Sagrex SA eine Abweichung von den Maßnahmen zum Schutz der in der anwendbaren Regelung genannten Tier- und Pflanzenarten im Hinblick auf den Betrieb eines Steinbruchs zur Gewinnung von Kalkgranulat bewilligte (im Folgenden: Abweichungsbewilligung).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 92/43/EWG

Rz. 3

Die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) sieht in ihren Art. 12 und 13 vor, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a und b dieser Richtlinie genannten Tier- und Pflanzenarten aufzubauen.

Rz. 4

Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt, dass die M...

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