Entscheidungsstichwort (Thema)
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Art. 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Richtlinie 2003/109/EG. Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger. Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz. Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung bei Maßnahmen der Sozialhilfe und des Sozialschutzes. Ausschluss der ‚Kernleistungen’. vom Anwendungsbereich dieser Ausnahme. Nationale Regelung, die ein Wohngeld für die einkommensschwächsten Mieter vorsieht. Betrag der für Drittstaatsangehörige vorgesehenen Mittel, der nach Maßgabe eines unterschiedlichen gewichteten Durchschnitts bestimmt wird. Ablehnung eines Wohngeldantrags wegen Erschöpfung des für Drittstaatsangehörige vorgesehenen Budgets
Beteiligte
Provincia autonoma di Bolzano |
Istituto per l'Edilizia sociale della Provincia autonoma di Bolzano (IPES) |
Giunta della Provincia autonoma di Bolzano |
Tenor
1. Die erste und die vierte bis siebte Frage, die das Tribunale di Bolzano in der Rechtssache C-571/10 vorgelegt hat, sind unzulässig.
2. Die in Art. 6 EUV enthaltene Verweisung auf die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebietet es einem nationalen Gericht nicht, im Fall eines Widerspruchs zwischen einer Regelung des nationalen Rechts und dieser Konvention die Bestimmungen der Konvention unmittelbar anzuwenden und die mit dieser unvereinbare nationale Regelung unangewendet zu lassen.
3. Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen oder regionalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die im Rahmen der Gewährung von Wohngeld einen Drittstaatsangehörigen, der die im Einklang mit dieser Richtlinie gewährte Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, bei der Aufteilung der für dieses Wohngeld bestimmten Mittel anders behandelt als Bürger des Mitgliedstaats, die in derselben Provinz oder Region ansässig sind, sofern dieses Wohngeld in eine der drei in dieser Bestimmung genannten Kategorien fällt und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie keine Anwendung findet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Bolzano (Italien) mit Entscheidung vom 24. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 2010, in dem Verfahren
Servet Kamberaj
gegen
Istituto per l'Edilizia sociale della Provincia autonoma di Bolzano (IPES),
Giunta della Provincia autonoma di Bolzano,
Provincia autonoma di Bolzano,
Beteiligte:
Associazione Porte Aperte/Offene Türen,
Human Rights International,
Associazione Volontarius,
Fondazione Alexander Langer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J. Malenovský und U. Lõhmus sowie der Richter A. Rosas, E. Levits, A. Ó Caoimh (Berichterstatter), L. Bay Larsen, T. von Danwitz, A. Arabadjiev und E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Kamberaj, vertreten durch F. Pinton und D. Simonato, avvocati,
- der Provincia autonoma di Bolzano, vertreten durch Rechtsanwälte R. von Guggenberg, S. Beikircher, C. Bernardi und D. Ambach,
- der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Dezember 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 EUV, 6 EUV, 18 AEUV, 45 AEUV und 49 AEUV, der Art. 21 und 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Bestimmungen der Richtlinien 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. L 180, S. 22) und 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44). Das vorlegende Gericht wirft auch Fragen in Bezug auf Art. 14 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und Art. 1 des am 4. November 2000 in Rom unterzeichneten Protokolls Nr. 12 z...