Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Verordnung (EU) Nr. 651/2014. Freistellung bestimmter Kategorien mit dem Binnenmarkt vereinbarer Beihilfen. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Definition. Kriterium der Unabhängigkeit. Eigenständiges Unternehmen. Ausschluss. Indirekte Kontrolle von 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte durch öffentliche Stellen. Begriffe ‚Kontrolle’ und ‚öffentliche Stellen’
Normenkette
AEUV Art. 3 Abs. 1, 4; AEUV Anhang I; AEUV Art. 107-108
Beteiligte
NMI Technologietransfer GmbH |
Tenor
Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die ausschließt, dass ein Unternehmen als kleines und mittleres Unternehmen (KMU) angesehen werden kann, wenn das Unternehmensorgan, das den wesentlichen Anteil des Kapitals hält, auch wenn es nicht zur Führung des Tagesgeschäfts des Unternehmens befugt ist, mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die öffentliche Stellen im Sinne dieser Bestimmung vertreten, so dass Letztere allein deshalb gemeinsam eine indirekte Kontrolle im Sinne dieser Bestimmung über das erstgenannte Unternehmen ausüben, wobei
- zum einen der in der genannten Bestimmung enthaltene Begriff „öffentliche Stelle” Einrichtungen wie Universitäten und Hochschulen sowie eine Industrie- und Handelskammer erfasst, wenn diese Einrichtungen geschaffen wurden, um speziell Bedürfnisse des Allgemeininteresses zu erfüllen, Rechtspersönlichkeit besitzen und überwiegend durch den Staat, Gebietskörperschaften oder andere öffentliche Stellen finanziert bzw. direkt oder indirekt von diesen kontrolliert werden; hierbei spielt es keine Rolle, dass die auf Vorschlag dieser Einrichtungen berufenen Personen ehrenamtlich für das betreffende Unternehmen tätig sind, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Einrichtungen vorgeschlagen und berufen wurden, und
- zum anderen eine solche Kontrolle bereits dann vorliegt, wenn öffentliche Stellen gemeinsam, sei es auch indirekt, gemäß der Satzung des Unternehmens, das die direkte Kontrolle über das betreffende Unternehmen ausübt, mindestens 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte des betreffenden Unternehmens halten, ohne dass darüber hinaus zu prüfen wäre, ob diese Stellen in der Lage sind, zu beeinflussen und zu koordinieren, wie ihre Stimmrechte tatsächlich durch ihre Vertreter ausgeübt werden, oder ob diese Vertreter den Interessen der genannten Stellen tatsächlich Rechnung tragen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 2019, in dem Verfahren
NMI Technologietransfer GmbH
gegen
EuroNorm GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis, des Präsidenten der Fünften Kammer E. Regan (Berichterstatter) und des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der NMI Technologietransfer GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Holle und C. Lindemann,
- der EuroNorm GmbH, vertreten durch A. Fuchs, M. Netzel und G. Saremba,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Blanck und V. Bottka als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2014, L 187, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der NMI Technologietransfer GmbH (im Folgenden: NMI TT) und der EuroNorm GmbH betreffend die Entscheidung, mit der die EuroNorm GmbH es abgelehnt hat, der NMI TT eine Förderung zur Finanzierung eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Empfehlung 2003/361/EG
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 9 und 13 der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. 2003, L 124, S. 36, im Folgenden: Empfehlung von 2003) lauten:
„(9) Damit sich die wirtschaftliche Realität der KMU besser erfassen lässt und aus dieser Kategorie die Unternehmensgruppen ausgeklammert werden können, die über eine stärkere Wirtschaftskraft als ein KMU verfügen, empfiehlt es sich, die...