Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Soziale Sicherheit. Familienleistung. Kinderbonus. Nationale Regelung, nach der eine Leistung als Kinderbonus ohne Antrag gewährt wird. Nichtkumulierung von Familienleistungen
Normenkette
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
Beteiligte
Caisse nationale des prestations familiales |
Tenor
Art. 1 Buchst. u Ziff. i und Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass eine Leistung wie der durch das Gesetz vom 21. Dezember 2007 über den Kinderbonus eingeführte Kinderbonus eine Familienleistung im Sinne dieser Verordnung darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV eingereicht von der Cour de cassation (Luxemburg) mit Entscheidung vom 29. März 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 17. April 2012, in dem Verfahren
Caisse nationale des prestations familiales
gegen
Salim Lachheb,
Nadia Lachheb
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas (Berichterstatter), D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Caisse nationale des prestations familiales, vertreten durch A. Rodesch, avocat,
- von Herrn Salim Lachheb und Frau Nadia Lachheb, vertreten durch C. Rimondini, avocat,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und G. Rozet als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 18 AEUV und Art. 45 AEUV, von Art. 1 Buchst. u Ziff. i, Art. 3 und Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. L 117, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) sowie von Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Caisse nationale des prestations familiales (Nationale Familienkasse, im Folgenden: CNPF) und Herrn und Frau Lachheb, die in Frankreich wohnen und von denen der eine in Luxemburg und die andere in Frankreich arbeiten, wegen einer Entscheidung der CNPF, eine als „Kinderbonus” bezeichnete Leistung in die Berechnungsgrundlage zur Ermittlung der Höhe der Familienleistungen, die Herrn und Frau Lachheb zulasten des luxemburgischen Staates zu gewähren sind, einzubeziehen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 5, 8 und 10 der Verordnung Nr. 1408/71 lauten:
„Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen.
…
Bei dieser Koordinierung ist innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmer und Selbständige, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, sowie ihre Angehörigen und Hinterbliebenen nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gleichbehandelt werden.
…
Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden.
…
Um die Gleichbehandlung aller im Gebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Arbeitnehmer und Selbständigen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, im Allgemeinen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats anzuwenden, in dessen Gebiet der Betreffende seine Arbeitnehmer- oder Selbständig[entätigkeit] ausübt.”
Rz. 4
Art. 1 dieser Verordnung führt die in ihrem Rahmen geltenden Begriffsbestimmungen auf.
Rz. 5
So bestimmt Art. 1 Buchst. u der Verordnung:
„i) ‚Familienleistungen’: alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von ...