Entscheidungsstichwort (Thema)

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE STRASBOURG – FRANKREICH. FREIER WARENVERKEHR – VERBOT DES WEITERVERKAUFS ZUM VERLUSTPREIS. Freier Warenverkehr ° Mengenmässige Beschränkungen ° Maßnahmen gleicher Wirkung ° Begriff ° Handelshemmnisse, die sich aus den Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über Bedingungen ergeben, denen die Waren entsprechen müssen ° Einbeziehung ° Hemmnisse, die sich aus nationalen Bestimmungen ergeben, die die Verkaufsmodalitäten in nichtdiskriminierender Weise regeln ° Unanwendbarkeit von Artikel 30 des Vertrages ° Rechtsvorschriften, die den Weiterverkauf zum Verlustpreis verbieten (EWG-Vertrag, Artikel 30)

 

Leitsatz (amtlich)

Eine nach Artikel 30 des Vertrages zwischen den Mitgliedstaaten verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung ist jede Maßnahme, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

Unter diese Definition fallen Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, daß Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung), selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, sofern sich die Anwendung dieser Vorschriften nicht durch einen Zweck rechtfertigen lässt, der im Allgemeininteresse liegt und den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgeht.

Demgegenüber ist die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne dieser Definition zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des Vertrages.

Artikel 30 des Vertrages ist folglich dahin auszulegen, daß er keine Anwendung auf Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats findet, die den Weiterverkauf zum Verlustpreis allgemein verbieten.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 30

 

Beteiligte

Bernard Keck

Daniel Mithouard

 

Tenor

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er keine Anwendung auf Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats findet, die den Weiterverkauf zum Verlustpreis allgemein verbieten.

 

Gründe

1 Das Tribunal de grande instance Straßburg hat mit zwei Urteilen vom 27. Juni 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Vorschriften des EWG-Vertrags über den Wettbewerb und den freien Verkehr innerhalb der Gemeinschaft zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in Strafverfahren gegen B. Keck und D. Mithouard, denen vorgeworfen wird, unter Verstoß gegen Artikel 1 des französischen Gesetzes Nr. 63-628 vom 2. Juli 1963 in der Fassung des Artikels 32 der Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986 Erzeugnisse in unverändertem Zustand zu unter ihrem tatsächlichen Einkaufspreis liegenden Preisen weiterverkauft zu haben.

3 Die Angeklagten des Ausgangsverfahrens machen zu ihrer Verteidigung geltend, ein allgemeines Verbot des Weiterverkaufs zum Verlustpreis, wie es diese Vorschriften vorsähen, sei mit Artikel 30 EWG-Vertrag und den Grundsätzen der Freizuegigkeit, des freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs sowie des freien Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft unvereinbar.

4 Das Tribunal de grande instance Straßburg hält eine Auslegung bestimmter Vorschriften des Gemeinschaftsrechts für erforderlich; es hat deshalb beide Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist das in Frankreich aufgrund von Artikel 32 der Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986 geltende Verbot des Weiterverkaufs zum Verlustpreis mit den durch den Vertrag vom 25. März 1957 zur Gründung der EWG, insbesondere durch die Artikel 3 und 7 dieses Vertrages, aufgestellten Grundsätzen der Freizuegigkeit, des freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs, der Herstellung freien Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangeh...

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