Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Gegenseitige Anerkennung von Urteilen. Rahmenbeschluss 2008/909/JI. Anwendungsbereich. Übergangsbestimmung. Begriff ‚Ergehen des rechtskräftigen Urteils’
Beteiligte
Tenor
Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er nur jene Urteile erfasst, die vor dem von dem betreffenden Mitgliedstaat angegebenen Zeitpunkt rechtskräftig geworden sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Amsterdam (Gericht Amsterdam, Niederlande) mit Entscheidung vom 30. Oktober 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 11. November 2015, in dem Strafverfahren gegen
Gerrit van Vemde,
Beteiligter:
Openbaar Ministerie,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Fünften Kammer, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet und F. Biltgen,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn van Vemde, vertreten durch P. Souren, advocaat,
- des Openbaar Ministerie, vertreten durch K. van der Schaft und U. Weitzel,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, B. Koopman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Oktober 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 28 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (ABl. 2008, L 327, S. 27).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens betreffend die Vollstreckung einer vom Hof van beroep Antwerpen (Berufungsgerichtshof Antwerpen, Belgien) gegen Gerrit van Vemde verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren in den Niederlanden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 „Begriffsbestimmungen”) des Rahmenbeschlusses 2008/909 bestimmt:
„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck
- ‚Urteil’ eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts des Ausstellungsstaats, durch die eine Sanktion gegen eine natürliche Person verhängt wird;
- ‚Sanktion’ jede Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme, die aufgrund eines Strafverfahrens wegen einer Straftat für eine bestimmte Zeit oder auf unbestimmte Zeit verhängt worden ist;
- ‚Ausstellungsstaat’ den Mitgliedstaat, in dem ein Urteil ergangen ist;
- ‚Vollstreckungsstaat’ den Mitgliedstaat, dem ein Urteil zum Zwecke seiner Anerkennung und Vollstreckung übermittelt wird.”
Rz. 4
Art. 3 „Zweck und Geltungsbereich”) des Rahmenbeschlusses sieht vor:
„(1) Zweck dieses Rahmenbeschlusses ist es, im Hinblick auf die Erleichterung der sozialen Wiedereingliederung der verurteilten Person die Regeln festzulegen, nach denen ein Mitgliedstaat ein Urteil anerkennt und die verhängte Sanktion vollstreckt.
…
(3) Dieser Rahmenbeschluss gilt nur für die Anerkennung von Urteilen und die Vollstreckung von Sanktionen im Sinne des Rahmenbeschlusses. …
…”
Rz. 5
Art. 28 „Übergangsbestimmung”) des Rahmenbeschlusses lautet:
„(1) Für Ersuchen, die vor dem 5. Dezember 2011 eingehen, gelten weiterhin die bestehenden Instrumente für die Überstellung verurteilter Personen. Für die nach diesem Zeitpunkt eingegangenen Ersuchen gelten die von den Mitgliedstaaten gemäß diesem Rahmenbeschluss erlassenen Bestimmungen.
(2) Jeder Mitgliedstaat kann jedoch zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses eine Erklärung abgeben, wonach er in Fällen, in denen das rechtskräftige Urteil vor dem angegebenen Zeitpunkt ergangen ist, als Ausstellungs- und Vollstreckungsstaat weiterhin die vor dem 5. Dezember 2011 für die Überstellung verurteilter Personen geltenden Rechtsinstrumente anwenden wird. Wurde eine derartige Erklärung abgegeben, so gelten diese Rechtsinstrumente in diesen Fällen im Verhältnis zu allen anderen Mitgliedstaaten, ungeachtet dessen, ob diese die gleiche Erklärung abgegeben haben oder nicht. Der betreffende Zeitpunkt darf n...