Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Rahmenbeschluss 2002/584/JI. Europäischer Haftbefehl. Frist für die Übergabe der gesuchten Person. Möglichkeit, mehrmals ein neues Übergabedatum zu vereinbaren. Widerstand der gesuchten Person gegen ihre Übergabe. Höhere Gewalt
Beteiligte
Tenor
Art. 23 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nach dieser Bestimmung ein neues Übergabedatum vereinbaren, wenn die Übergabe der gesuchten Person innerhalb von zehn Tagen nach einem gemäß dieser Bestimmung vereinbarten ersten neuen Übergabetermin wegen des von dieser Person wiederholt geleisteten Widerstands unmöglich ist, sofern dieser Widerstand aufgrund außergewöhnlicher Umstände für diese Behörden nicht vorhersehbar war und die Folgen des Widerstands für die Übergabe trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch die Behörden nicht vermieden werden konnten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Art. 15 Abs. 1 und Art. 23 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass diese Behörden auch nach Ablauf der in Art. 23 des Rahmenbeschlusses festgelegten Fristen verpflichtet bleiben, ein neues Übergabedatum zu vereinbaren.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Entscheidung vom 24. November 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Dezember 2015, in dem Verfahren über den Vollzug eines Europäischen Haftbefehls gegen
Tomas Vilkas
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Vilkas, vertreten durch M. Kelly, QC, M. Lynam, BL, B. Coveney, J. Wood und T. Horan, Solicitors,
- von Irland, vertreten durch E. Creedon, D. Curley und E. Pearson als Bevollmächtigte im Beistand von S. Stack, SC, und J. Benson, BL,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F.-X. Bréchot als Bevollmächtigte,
- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriauciunas, R. Krasuckaitė und J. Nasutavičienė als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon als Bevollmächtigten im Beistand von J. Holmes, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Oktober 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen des Vollzugs von Europäischen Haftbefehlen, die ein litauisches Gericht gegen Herrn Tomas Vilkas erlassen hat, in Irland.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren
Rz. 3
Art. 11 Abs. 3 des am 10. März 1995 unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 1995, C 78, S. 2, im Folgenden: Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren) bestimmt:
„Kann die Person aus Gründen höherer Gewalt nicht innerhalb der … vorgesehenen Frist übergeben werden, so teilt die … betroffene Behörde dies der anderen Behörde mit. Sie vereinbaren einen neuen Zeitpunkt für die Übergabe. In diesem Fall findet die Übergabe innerhalb von 20 Tagen nach dem vereinbarten neuen Zeitpunkt statt. Befindet sich die betreffende Person nach Ablauf dieser Frist weiterhin in Haft, so wird sie freigelassen.”
Rahmenbeschluss
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 5 und 7 des Rahmenbeschlusses lauten:
„(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System de...