Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Ausgleichszahlungen für Fluggäste bei großer Verspätung von Flügen. Erfordernis des rechtzeitigen Einfindens zur Abfertigung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 3 Abs. 2 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1
Beteiligte
Laudamotion (Renoncement à un vol tardif) |
Tenor
Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast, um die in Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung im Fall einer großen Verspätung eines Fluges, d. h. einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit, zu erhalten, sich rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden haben muss oder, wenn er sich bereits online registriert hat, sich rechtzeitig am Flughafen bei einem Vertreter des ausführenden Luftfahrtunternehmens eingefunden haben muss.
Tatbestand
In der Rechtssache C-474/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juli 2022, in dem Verfahren
Laudamotion GmbH
gegen
flightright GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der flightright GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte M. Michel und R. Weist,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche, J. Heitz und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, K. Simonsson, G. Wilms und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und der Art. 5 bis 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Luftfahrtunternehmen Laudamotion GmbH und der Rechtshilfegesellschaft flightright GmbH – an die ein Fluggast seine Ansprüche gegen Laudamotion abgetreten hat – über eine Ausgleichszahlung wegen großer Verspätung eines Fluges, für den dieser Fluggast über eine bestätigte Buchung verfügte.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Der zweite Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:
„Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.“
Rz. 4
Art. 2 Buchst. l dieser Verordnung definiert den Begriff „Annullierung“ als „die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war“.
Rz. 5
Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Diese Verordnung gilt
a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;
…
(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste
a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 – sich
- – wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden
oder, falls keine Zeit angegeben wurde,
- – spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden …
…“
Rz. 6
Art. 5 („Annullierung“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor:
„Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen
…
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
…
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höch...