Entscheidungsstichwort (Thema)
Organschaft, Beschränkung auf gebietsansässige Tochtergesellschaften, Ausschluss gebietsfremder Tochtergesellschaften
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 43 EG und 48 EG stehen nicht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die es einer Muttergesellschaft ermöglicht, mit ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine steuerliche Einheit zu bilden, die Bildung einer solchen steuerlichen Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft aber nicht zulässt, weil deren Gewinne nicht den Steuervorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegen.
Normenkette
EGVtr Art. 43, 48
Beteiligte
Staatssecretaris van Financiën |
Verfahrensgang
Hoge Raad (Niederlande) (Urteil vom 11.07.2008; Abl.EU 2008, Nr. C 272/10) |
Tatbestand
„Art. 43 EG und 48 EG ‐ Steuerrecht ‐ Körperschaftsteuer ‐ Aus einer gebietsansässigen Muttergesellschaft und einer oder mehreren gebietsansässigen Tochtergesellschaften gebildete steuerliche Einheit ‐ Besteuerung der Gewinne bei der Muttergesellschaft ‐ Ausschluss gebietsfremder Tochtergesellschaften“
In der Rechtssache C-337/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 11. Juli 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juli 2008, in dem Verfahren
X Holding BV
gegen
Staatssecretaris van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der X Holding BV, vertreten durch F. A. Engelen und S. C. W. Douma, belastingadviseurs,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels, M. Noort und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, C. Blaschke und B. Klein als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez und B. Plaza Cruz als Bevollmächtigte,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Gracia als Bevollmächtigte,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,
‐ der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, S. Johannesson und K. Petkovska als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigten im Beistand von M. Gray, Barrister,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. November 2009
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 48 EG.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X Holding BV (im Folgenden: X Holding), einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, und der niederländischen Finanzverwaltung wegen deren Weigerung, die X Holding und eine im Ausland ansässige Tochtergesellschaft dieses Unternehmens als steuerliche Einheit anzuerkennen.
Rechtlicher Rahmen
Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem Königreich Belgien und dem Königreich der Niederlande
Rz. 3
Das zwischen den Niederlanden und Belgien geschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vom 5. Juni 2001 (im folgenden DBA) bestimmt in Art. 7 Abs. 1 entsprechend dem Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD):
„Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können.“
Rz. 4
Bezieht ein in den Niederlanden ansässiger Steuerpflichtiger Einkünfte, die gemäß Art. 7 DBA in Belgien steuerpflichtig sind, so befreien die Niederlande diese Einkünfte nach Art. 23 Abs. 2 DBA, indem sie eine Ermäßigung ihrer Steuer einräumen, die nach den niederländischen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehen ist.
Niederländisches Recht
Rz. 5
Art. 15 des Körperschaftsteuergesetzes von 1969 bestimmt:
„(1) Verfügt ein Steuerpflichtiger (die Muttergesellschaft) über das rechtliche und das wirtschaftliche Eigentum an mindestens 95 % der Anteile am eingezahlten Nennkapital eines anderen Steuerpflichtigen (der Tochtergesellschaft), wird auf Antrag beider Steuerpflichtiger die Steuer bei ihnen so erhoben, als handelte es sich um einen Steuerpflichtigen in dem Sinne, dass die Tätigkeiten und das Vermögen der Tochtergesellschaft Teil der Täti...