Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinschaftlicher Sortenschutz. In Art. 14 vorgesehene Ausnahme. Verwendung des Ernteguts zu Vermehrungszwecken durch Landwirte ohne Zustimmung des Sortenschutzinhabers. Pflicht der Landwirte, für diese Verwendung eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Frist, innerhalb deren diese Entschädigung zu zahlen ist, um in den Genuss der Ausnahme kommen zu können. Möglichkeit des Sortenschutzinhabers, auf Art. 94 zurückzugreifen. Verletzung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 2100/94 Art. 14, 94
Beteiligte
Saatgut-Treuhandverwaltung |
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH |
Gerhard und Jürgen Vogel GbR |
Tenor
Um in den Genuss der in Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vorgesehenen Ausnahme von der Pflicht kommen zu können, die Zustimmung des Inhabers des betreffenden Sortenschutzes einzuholen, ist ein Landwirt, der durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Pflanzensorte (hofeigenes Saatgut) genutzt hat, ohne hierüber vertragliche Vereinbarungen mit diesem Inhaber getroffen zu haben, verpflichtet, die nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich dieser Verordnung geschuldete angemessene Entschädigung innerhalb einer Frist zu zahlen, die mit Ablauf des Wirtschaftsjahrs endet, in dem diese Nutzung stattgefunden hat, d. h. spätestens am auf die Wiederaussaat folgenden 30. Juni.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Mannheim (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Mai 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2014, in dem Verfahren
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH
gegen
Gerhard und Jürgen Vogel GbR,
Jürgen Vogel,
Gerhard Vogel
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos (Berichterstatter),
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte K. von Gierke und E. Trauernicht,
- der Gerhard und Jürgen Vogel GbR sowie von Herrn G. Vogel und Herrn J. Vogel, vertreten durch Rechtsanwälte J. Beismann und M. Miersch,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, C. Schillemans und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und I. Galindo Martín als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. März 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung mehrerer Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227, S. 1) und der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94 (ABl. L 173, S. 14).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden: STV), die die Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes für die Wintergerstensorte Finita vertritt, auf der einen und der Gerhard und Jürgen Vogel GbR, einem landwirtschaftlichen Betrieb, sowie den persönlich haftenden Gesellschaftern dieser Gesellschaft G. und J. Vogel (im Folgenden zusammen: Beklagte des Ausgangsverfahrens) auf der anderen Seite wegen des Nachbaus dieser Sorte durch die Letztgenannten.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 2100/94
Rz. 3
Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen”) der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt:
„(1) Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der oder die Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes, im folgenden ‚Inhaber’ genannt, befugt sind, die in Absatz 2 genannten Handlungen vorzunehmen.
(2) Unbeschadet der Artikel 15 und 16 bedürfen die nachstehend aufgeführten Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte – beides im Folgenden ‚Material’ genannt – der Zustimmung des Inhabers:
a) Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung),
…
Der Inhaber kann seine Zustimmung von Bedingungen und Einschränkungen abhängig machen.
…”
Rz. 4
Art. 14 („Abweichung vom gemeinschaftlichen Sortenschutz”) dieser Verordnung sieht vor:
„(1) Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 2 können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer unter den gemeinschaftlichen Sortenschutz fallenden Sorte gewonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf.
(2) Absatz 1 gilt nur für folgende landwirtschaftliche Pflanzen...