Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Rechtsbehelf. Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Frist für die Überstellung. Keine Durchführung der Überstellung innerhalb der vorgeschriebenen Frist. Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats. Übergang der Zuständigkeit. Erfordernis einer Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 27, 29
Beteiligte
Majid Shiri, auch bekannt unter dem Namen Madzhdi Shiri |
Tenor
1. Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit von Rechts wegen auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, sofern die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist durchgeführt wird, ohne dass es erforderlich ist, dass der zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person ablehnt.
2. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013, betrachtet vor dem Hintergrund ihres 19. Erwägungsgrundes, sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, über einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf verfügen können muss, der es ihr ermöglicht, sich auf den nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung eingetretenen Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist zu berufen. Das aufgrund einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einem solchen Antragsteller zustehende Recht, sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung auf nach ihrem Erlass eingetretene Umstände zu berufen, genügt dieser Verpflichtung, einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf vorzusehen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 31. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 12. April 2016, in dem Verfahren
Majid Shiri, auch bekannt unter dem Namen Madzhdi Shiri,
belangte Behörde:
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça und A. Rosas, der Richter E. Juhász, A. Borg Barthet, M. Safjan und D. Šváby, der Richterin A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas und M. Vilaras,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Shiri, vertreten durch die Rechtsanwälte W. Weh und S. Harg,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Crane und S. Brandon als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell und M. Gray, Barristers,
- der schweizerischen Regierung, vertreten durch E. Bichet als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. Juli 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 1 sowie von Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin-III-Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen der Prüfung der Beschwerde des iranischen Staatsangehörigen Majid Shiri, auch bekannt unter dem Namen Madzhdi Shiri, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen, seine Außerlandesbringung angeordnet und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Bulgarien festgestellt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung (EG) Nr. 1560/2003
Rz. 3
In Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003...