Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechte von Arbeitnehmern aus Drittländern, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind. Recht auf Gleichbehandlung. Soziale Sicherheit. Regelung eines Mitgliedstaats, die für die Bestimmung des Anspruchs auf eine Familienleistung die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhaltenden Familienangehörigen des Inhabers einer kombinierten Erlaubnis unberücksichtigt lässt
Normenkette
Richtlinie 2011/98/EU Art. 12
Beteiligte
Istituto Nazionale della Previdenza |
Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) |
Tenor
Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bei der Bestimmung der Ansprüche auf eine Leistung der sozialen Sicherheit diejenigen Familienangehörigen eines Inhabers einer kombinierten Erlaubnis im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie unberücksichtigt lässt, die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, während die sich in einem Drittstaat aufhaltenden Familienangehörigen von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats berücksichtigt werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 5. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2019, in dem Verfahren
Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS)
gegen
WS
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS), vertreten durch A. Coretti, V. Stumpo und M. Sferrazza, avvocati,
- von WS, vertreten durch A. Guariso und L. Neri, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo, P. Gentili und A. Giordano, avvocati dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, A. Azéma und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) (Nationales Institut für Sozialfürsorge, Italien) und WS über die Ablehnung eines Antrags auf Familienzulage für Zeiträume, in denen sich die Ehefrau und die Kinder des Betroffenen in ihrem Drittherkunftsland aufhielten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 19, 20, 24 und 26 der Richtlinie 2011/98 heißt es:
„(2) Der Europäische Rat hat auf seiner Sondertagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere anerkannt, dass eine Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Bedingungen für die Zulassung und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen erforderlich ist. Insbesondere erklärte er in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Union eine gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, sicherstellen muss und eine energischere Integrationspolitik darauf ausgerichtet sein sollte, ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie Unionsbürgern zuzuerkennen. Der Europäische Rat ersuchte daher den Rat, auf der Grundlage von Vorschlägen der Kommission entsprechende Beschlüsse zu fassen. Wie wichtig es ist, dass die in Tampere vorgegebenen Ziele erreicht werden, wurde im Stockholmer Programm, das vom Europäischen Rat auf seiner Tagung vom 10. und 11. Dezember 2009 verabschiedet wurde, bekräftigt.
…
(19) In Ermangelung horizontaler Unionsvorschriften sind die Rechte von Drittstaatsangehörigen unterschiedlich, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie arbeiten und welche Staatsangehörigkeit sie besitzen. Im Hinblick auf die Weiterent...