Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Recht auf Gleichbehandlung. Soziale Sicherheit. Regelung eines Mitgliedstaats, die bei der Bestimmung des Anspruchs auf eine Familienleistung die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhaltenden Familienangehörigen des langfristig Aufenthaltsberechtigten unberücksichtigt lässt
Normenkette
Richtlinie 2003/109/EG Art. 11
Beteiligte
Istituto Nazionale della Previdenza Sociale |
Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) |
Tenor
Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bei der Bestimmung der Ansprüche auf eine Leistung der sozialen Sicherheit diejenigen Familienangehörigen eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie unberücksichtigt lässt, die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, während die sich in einem Drittstaat aufhaltenden Familienangehörigen von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats berücksichtigt werden, wenn dieser Mitgliedstaat bei der Umsetzung dieser Richtlinie in das innerstaatliche Recht nicht seine Absicht zum Ausdruck gebracht hat, die von ihrem Art. 11 Abs. 2 eröffnete Ausnahme von der Gleichbehandlung in Anspruch nehmen zu wollen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 5. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2019, in dem Verfahren
Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS)
gegen
VR
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS), vertreten durch A. Coretti, V. Stumpo und M. Sferrazza, avvocati,
- von VR, vertreten durch A. Guariso und L. Neri, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Giordano und P. Gentili, avvocati dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, A. Azéma und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) (Nationales Institut für Sozialfürsorge, Italien) und VR über die Ablehnung eines Antrags auf Familienzulage für einen Zeitraum, in dem sich die Ehefrau und die Kinder des Betroffenen in ihrem Drittherkunftsland aufhielten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 4, 6 und 12 der Richtlinie 2003/109 heißt es:
„(2) Der Europäische Rat hat auf seiner Sondertagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 erklärt, dass die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten angenähert werden sollte und einer Person, die sich während eines noch zu bestimmenden Zeitraums in einem Mitgliedstaat rechtmäßig aufgehalten hat und einen langfristigen Aufenthaltstitel besitzt, in diesem Mitgliedstaat eine Reihe einheitlicher Rechte gewährt werden sollte, die denjenigen der Unionsbürger so nah wie möglich sind.
…
(4) Die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, trägt entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts bei, der als eines der Hauptziele der [Union] im Vertrag angegeben ist.
…
(6) Die Dauer des Aufenthalts im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sollte das Hauptkriterium für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sein. Der Aufenthalt sollte rechtmäßig und ununterbrochen sein, um die Verwurzlung der betreffenden Person im Land zu belegen. Eine gewisse Flexibilität sollte vorgesehen werden, damit Umstände berücksichtigt werden können, die eine Person veranlassen können, das Land zeitweilig zu verlassen.
…
(12) Um ein echtes Instrument zur Integration von langfristig Aufenthaltsberechtigten in die Gesellschaft, in der sie leben, darzustellen, sollten langfristig Aufenthaltsberechtigte nach Maßgabe der entsprechenden, in die...