Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Scheidungsantrag. Begriff ‚gewöhnlicher Aufenthalt’ des Antragstellers

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a

 

Beteiligte

IB

IB

FA

 

Tenor

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass ein Ehegatte, der sein Leben in zwei Mitgliedstaaten verbringt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt nur in einem dieser Mitgliedstaaten haben kann, so dass allein die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich dieser gewöhnliche Aufenthalt befindet, für die Entscheidung über den Antrag auf Auflösung der Ehe zuständig sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d'appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) mit Entscheidung vom 13. Februar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juni 2020, in dem Verfahren

IB

gegen

FA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer, der Richter J. Passer und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie des Richters N. Wahl,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von IB, vertreten durch F. Ingold und E. Ravin, avocats,
  • von FA, vertreten durch A. Boiché, avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier, T. Stehelin, D. Dubois und A. Daniel als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,
  • von Irland, vertreten durch M. Browne, A. Joyce und J. Quaney als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, S. Duarte Afonso, P. Barros da Costa und L. Medeiros als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch M. Heller, W. Wils und M. Wilderspin, dann durch M. Heller und W. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juli 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Ehegatten IB und FA über einen Antrag auf Auflösung ihrer Ehe.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 1347/2000

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4, 8 und 12 der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. 2000, L 160, S. 19), die ab dem 1. März 2005 durch die Verordnung Nr. 2201/2003 aufgehoben wurde, hieß es:

„(4) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Zuständigkeitsregeln und bestimmten Rechtsvorschriften über die Vollstreckung von Entscheidungen erschweren sowohl den freien Personenverkehr als auch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher gerechtfertigt, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Ehesachen und in Verfahren über die elterliche Verantwortung zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung von Entscheidungen und deren Vollstreckung zu vereinfachen.

(8) In der vorliegenden Verordnung sind kohärente und einheitliche Maßnahmen vorzusehen, die einen möglichst umfassenden Personenverkehr ermöglichen. …

(12) Die Zuständigkeitskriterien gehen von dem Grundsatz aus, dass zwischen dem Verfahrensbeteiligten und dem Mitgliedstaat, der die Zuständigkeit wahrnimmt, eine tatsächliche Beziehung bestehen muss. Die Auswahl dieser Kriterien ist darauf zurückzuführen, dass sie in verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsordnungen bestehen und von den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.”

Verordnung Nr. 2201/2003

Rz. 4

Der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 lautet:

„Die Europäische Gemeinschaft hat sich die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist. Hierzu erlässt die Gemeinschaft unter anderem die Maßnahmen, die im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erf...

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