Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Asylpolitik. Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird. Möglichkeit des Gerichts, ohne Anhörung des Antragstellers zu entscheiden
Normenkette
Richtlinie 2013/32/EU Art. 12, 14, 31, 46; Charta der Grundrehte der Europäishen Union Art. 47
Beteiligte
Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano |
Tenor
Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und insbesondere ihre Art. 12, 14, 31 und 46 sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie das mit einem Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, mit der ein offensichtlich unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, befasste nationale Gericht nicht daran hindern, diesen Rechtsbehelf ohne Anhörung des Antragstellers zurückzuweisen, wenn die tatsächlichen Umstände keinen Zweifel an der Begründetheit der ablehnenden Entscheidung lassen, vorausgesetzt zum einen, dass dem Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren gemäß Art. 14 der Richtlinie Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz gegeben wurde und die Niederschrift oder das Wortprotokoll dieser Anhörung, falls sie stattgefunden hat, gemäß Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie zu den Akten genommen wurde, und zum anderen, dass das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht eine solche Anhörung anordnen kann, wenn es sie als erforderlich ansieht, um die in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene umfassende, sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckendeEx-nunc-Prüfung vorzunehmen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Milano (erstinstanzliches Gericht Mailand, Italien) mit Entscheidung vom 14. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2016, in dem Verfahren
Moussa Sacko
gegen
Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Sacko, vertreten durch S. Santilli, avvocato,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. D'Ascia, avvocato dello Stato,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Vláčil und M. Smolek als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und E. Armoët als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. M. Tátrai, M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. April 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12, 14, 31 und 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Moussa Sacko, einem Staatsangehörigen von Mali, und der Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano (Örtliche Kommission für die Anerkennung des internationalen Schutzes von Mailand, im Folgenden: Commissione Territoriale) über deren Ablehnung des Antrags von Herrn Sacko auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Mit der Richtlinie 2013/32 werden gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) eingeführt.
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 18 und 20 der Richtlinie 2013/32 lauten:
„(18) Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationa...