Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Anwendung einer entsprechenden nationalen Vorschrift. Zuständigkeit des Gerichtshofs. Begriff ‚Vereinbarung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt’. Geschäftsraummietverträge. Einkaufszentren. Recht des Referenzmieters, der Vermietung von Gewerbeflächen durch den Vermieter an Dritte zu widersprechen

 

Normenkette

AEUV Art. 101 Abs. 1

 

Beteiligte

Maxima Latvija

SIA „Maxima Latvija”

Konkurences padome

 

Tenor

1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass ein Geschäftsraummietvertrag über die Vermietung einer Supermarktfläche in einem Einkaufszentrum eine Klausel enthält, die dem Mieter das Recht einräumt, der Vermietung von Gewerbeflächen in diesem Einkaufszentrum durch den Vermieter an andere Mieter zu widersprechen, für sich genommen nicht bedeutet, dass dieser Vertrag eine Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne dieser Bestimmung bezweckt.

2. Geschäftsraummietverträge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, bezüglich deren sich nach einer vertieften Prüfung des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs, in dem sie stehen, sowie der Besonderheiten des betreffenden relevanten Marktes erweist, dass sie erheblich zu einer möglichen Abschottung dieses Marktes beitragen, können als Vereinbarungen angesehen werden, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV „bewirken”. Die Bedeutung des Beitrags des einzelnen Vertrags zu dieser Abschottung hängt u. a. von der Stellung der Vertragspartner auf diesem Markt und der Laufzeit dieses Vertrags ab.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 11. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juli 2014, in dem Verfahren

SIA „Maxima Latvija”

gegen

Konkurences padome

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe (Berichterstatterin),

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der SIA „Maxima Latvija”, vertreten durch M. Gailis und L. Mervina, advokāti, sowie A. Šteinmanis,
  • der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalñinš und J. Treijs-Gigulis als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Khan, F. Ronkes Agerbeek und I. Rubene als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SIA „Maxima Latvija” (im Folgenden: Maxima Latvija) und der Konkurences padome (Wettbewerbsrat) über eine Geldstrafe, die Letztere der Maxima Latvija auferlegte, da diese eine Reihe von Geschäftsraummietverträgen mit Einkaufszentren geschlossen hatte, die eine Klausel mit wettbewerbswidrigem Zweck enthielten.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In Art. 11 Abs. 1 des Konkurences likums (Wettbewerbsgesetz) heißt es:

„Vereinbarungen zwischen Wirtschaftsbeteiligten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb Lettlands bezwecken oder bewirken, sind verboten und von Anfang an nichtig; dazu gehören insbesondere Vereinbarungen über

7. Handlungen (oder Unterlassungen), infolge deren ein anderer Wirtschaftsbeteiligter dazu gedrängt wird, sich aus einem bestimmten Markt zurückzuziehen, oder infolge deren der Eintritt eines möglichen Wirtschaftsbeteiligten in einen bestimmten Markt erschwert wird.”

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

Rz. 4

Maxima Latvija ist ein lettisches Unternehmen im Bereich des Einzelhandels mit Schwerpunkt Lebensmittel, das Supermärkte betreibt. Die Gesellschaft schloss mit Einkaufszentren in Lettland eine Reihe von Geschäftsraummietverträgen über die Vermietung von Gewerbeflächen in diesen Einkaufszentren.

Rz. 5

Nach Prüfung von 119 dieser Verträge stellte der Wettbewerbsrat fest, dass zwölf davon eine Klausel enthielten, die Maxima Latvija in ihrer Eigenschaft als „Referenzmieterin” das Recht auf Einwilligung in die Vermietung der nicht von ihr angemieteten Gewerbeflächen durch den Vermieter an Dritte einräumten. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass „Referenzmieter” der Supermarkt für Waren des täglichen Bedarfs ist, der in einem Einkaufszentrum im Allgemeinen die größte oder einen wesentlichen Teil der Fläche dieses Einkaufszentrums einni...

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