Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsbürgerschaft. Unionsbürger, der nie von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Antrag des drittstaatsangehörigen Ehegatten auf eine befristete Aufenthaltskarte. Ablehnung. Pflicht, für den Lebensunterhalt des Ehegatten aufzukommen. Keine ausreichenden Existenzmittel des Unionsbürgers. Pflicht der Ehegatten zum Zusammenleben. Nationale Rechtsvorschriften und Praxis. Tatsächlicher Genuss des Kernbestands der Unionsbürgern verliehenen Rechte. Vorenthaltung
Normenkette
AEUV Art. 20
Beteiligte
Subdelegación del Gobierno en Ciudad Real (Conjoint d'un citoyen de l'Union) |
Subdelegación del Gobierno en Ciudad Real |
Tenor
1. Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat daran hindert, einen Antrag auf Familienzusammenführung, den der drittstaatsangehörige Ehegatte eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt und nie von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, stellt, allein deshalb abzulehnen, weil der Unionsbürger für sich und seinen Ehegatten nicht über so ausreichende Existenzmittel verfügt, dass sie keine nationalen Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen, ohne dass geprüft worden wäre, ob zwischen dem Unionsbürger und seinem Ehegatten ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das den Unionsbürger im Fall der Weigerung, dem Ehegatten ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zu gewähren, zwingen würde, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, so dass ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm sein Status verleiht, vorenthalten würde.
2. Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Abhängigkeitsverhältnis, das geeignet ist, die Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts nach diesem Artikel zu rechtfertigen, nicht allein deshalb besteht, weil der volljährige Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der nie von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, und sein volljähriger drittstaatsangehöriger Ehegatte nach dem Recht des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, aufgrund der sich aus der Ehe ergebenden Pflichten zum Zusammenleben verpflichtet sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha (Obergericht für Kastilien-La Mancha, Spanien) mit Entscheidung vom 30. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Dezember 2018, in dem Verfahren
Subdelegación del Gobierno en Ciudad Real
gegen
RH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von RH, vertreten durch P. García Valdivieso Manrique und A. Ceballos Cabrillo, abogados,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. Wolff und P. Ngo als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Martínez del Peral und E. Montaguti als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. November 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Subdelegaciín del Gobierno en Ciudad Real (Unterdelegation der Regierung in Ciudad Real, Spanien) (im Folgenden: Subdelegación) und RH über die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines Unionsbürgers durch die Subdelegación.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35) bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.”
Rz. 4
Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:
„(1)
Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
…
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzm...