Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylanträge. Richtlinie 2003/9/EG. Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten. Verordnung (EG) Nr. 343/2003. Verpflichtung, Asylbewerbern während der Dauer des Verfahrens zur Aufnahme oder Wiederaufnahme durch den zuständigen Mitgliedstaat Mindestbedingungen für die Aufnahme zu garantieren. Bestimmung des Mitgliedstaats, der die mit der Gewährleistung der Mindestbedingungen verbundene finanzielle Belastung zu tragen hat

 

Beteiligte

CIMADE und GISTI

Groupe d'information et de soutien des immigrés (GISTI)

Ministre de l'Intérieur, de l'Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l'Immigration

 

Tenor

1. Die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass ein mit einem Asylantrag befasster Mitgliedstaat die in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern auch einem Asylbewerber gewähren muss, bei dem er gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, beschließt, einen anderen Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags dieses Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat um dessen Aufnahme oder Wiederaufnahme zu ersuchen.

2. Die Verpflichtung des mit einem Asylantrag befassten Mitgliedstaats, die in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern einem Asylbewerber zu gewähren, bei dem er gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 beschließt, einen anderen Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags dieses Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat um dessen Aufnahme oder Wiederaufnahme zu ersuchen, endet mit der tatsächlichen Überstellung des Asylbewerbers durch den ersuchenden Mitgliedstaat; die mit der Gewährleistung dieser Mindestbedingungen verbundene finanzielle Belastung ist vom ersuchenden Mitgliedstaat zu tragen, den diese Verpflichtung trifft.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 7. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. April 2011, in dem Verfahren

Cimade,

Groupe d'information et de soutien des immigrés (GISTI)

gegen

Ministre de l'Intérieur, de l'Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l'Immigration

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin A. Prechal sowie der Richter K. Schiemann, L. Bay Larsen (Berichterstatter) und E. Jarašiūnas

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Cimade, vertreten durch ihren Präsidenten P. Peugeot und P. Spinosi, avocat,
  • der Groupe d'information et de soutien des immigrés (GISTI), vertreten durch P. Peugeot und C. Pouly, avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, J.-S. Pilczer und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vlácil als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki und L. Kotroni als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Gerardis, avvocato dello Stato,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
  • der schweizerischen Regierung, vertreten durch J. de Watteville als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. Mai 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18) und insbesondere ihren Anwendungsbereich.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Cimade (Comité inter-mouvements auprès des évacués, Komitee zur Koordinierung der Bewegungen für Evakuierte) und der Groupe d'information et de soutien des immigrés (GISTI) (Gruppe zur Information und Unterstützung von Zuwanderern) einerseits und dem Ministre de l'Intérieur, de l'Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l'Immigration (Minister für Inneres, die Überseegebiete, die Gebietskörperschaften und Zuwanderung) andererseits wegen der Rechtmäßigkeit eines interministeriellen Rundschreibens vom 3. November 2009 über die Wartezeitbeihilfe (allocation temporaire d'attente) (im Folgenden: Rundschreiben vom 3. November 2009).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/9

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 5, 7 und...

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