Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzugsfähigkeit ausländischer Versicherungsbeiträge
Leitsatz (amtlich)
1. Die Artikel 48 und 59 EGV stehen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, die die Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu Kranken- und Invaliditäts- oder Alters- und Todesfallversicherungen von der Voraussetzung abhängig machen, daß diese Beiträge in diesem Staat gezahlt werden. Diese Voraussetzung kann jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Kohärenz der anwendbaren Steuerregelung zu gewährleisten.
2. Diese Notwendigkeit kann zB dann bestehen, wenn in einem Steuersystem eines Mitgliedstaats ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherern in Erfüllung der Verträge zu zahlenden Beträge besteht und wenn ein solcher Ausgleich zwischen der Abzugsfähigkeit in einer Phase und der Besteuerung in einer anderen nicht mehr sichergestellt werden kann, weil die auf den steuerfreien Beiträgen beruhenden Zahlungen von einem ausländischen Versicherer im Ausland geleistet werden, wo ihre Besteuerung vom Zufall abhängig ist
3. Die Artikel 67 und 106 EGV stehen solchen Rechtsvorschriften nicht entgegen.
Normenkette
EGVtr Art. 48, 59, 67, 106
Beteiligte
Gründe
(1) Die belgische Cour de cassation hat mit Urteil vom 28.6.1990 gemäß Art. 177 EGV eine Frage nach der Auslegung der Art. 48, 59, 67 und 106 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt.
(2) Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Hanns-Martin Bachmann, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und in Belgien beschäftigt war, und dem belgischen Staat wegen der Weigerung des Directeur des contributions directes de Bruxelles-I, den Abzug von in Deutschland gezahlten Beiträgen im Rahmen von Kranken- und Invaliditäts Versicherungsverträgen sowie eines Lebensversicherungsvertrags, die der Kläger vor seiner Ankunft in Belgien geschlossen hatte, vom Gesamtbetrag seiner Erwerbseinkünfte des Zeitraums 1973 bis 1976 zu gestatten.
(3) Diese Weigerung ist auf Art. 54 des belgischen Code des impôts sur les revenus (nachstehend: CIR) gestützt, der im Ausgangsverfahren Anwendung findet und wonach von den Erwerbseinkünften nur die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Invaliditätsversicherung, die an einen von Belgien anerkannten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit gezahlt wurden, sowie die in Belgien gezahlten Beiträge zu Versicherungen für den Fall des Alters und des vorzeitigen Todes abgezogen werden können.
(4) Herr Bachmann erhob gegen die genannte Entscheidung Klage bei der Cour d'appel Brüssel. Nach Abweisung dieser Klage legte er Rechtsmittel bei der Cour de cassation ein, die beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen, bis der Gerichtshof über folgende Frage vorab entschieden hat:
Sind die Bestimmungen des belgischen Steuerrechts, die im Bereich der Steuern auf das Einkommen die Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu Kranken- und Invaliditäts- oder Alters- und Todesfallversicherungen von der Voraussetzung abhängig machen, daß diese Beiträge „in Belgien” gezahlt werden, mit den Art. 48, 59, und zwar dessen Absatz 1, 67 und 106 EGV vereinbar?
(5) Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
(6) Vorab ist festzustellen, daß der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 177 EGV nicht über die Vereinbarkeit von innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden hat; er kann jedoch dem nationalen Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand geben, die es diesem ermöglichen, über die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit den herangezogenen Gemeinschaftsbestimmungen zu befinden.
(7) Die Vorlagefrage ist demnach so zu verstehen, daß das nationale Gericht wissen möchte, ob die Art. 48, 59, 67 und 106 EGV dahin auszulegen sind, daß sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die steuerliche Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu Kranken- und Invaliditäts- oder Alters- und Todesfallversicherungen von der Voraussetzung abhängig machen, daß diese Beiträge in diesem Staat gezahlt werden.
Artikel 48 EGV
(8) Die belgische Regierung führt aus, daß die fraglichen Bestimmungen ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit für belgische Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten gälten, die den Vorteil der früher im Ausland geschlossenen Verträge behalten wollten, und daß die Behauptung der Kommission, diese Bestimmungen wirkten sich insbesondere zum Nachteil der steuerpflichtigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten aus, jeder Grundlage entbehre.
(9) Insoweit ist festzustellen, daß die Arbeitnehmer, die in einem Mitgliedstaat berufstätig waren und später in einem anderen Mitgl...