Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen. Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen. Voraussetzungen für die Bestätigung. Mindestvorschriften für Verfahren über unbestrittene Forderungen. Rechte des Schuldners. Fehlen der Angabe der Anschrift der Stelle, bei der die Forderung bestritten werden kann oder bei der ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt werden kann
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 805/2004
Beteiligte
Tenor
Art. 17 Buchst. a und Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen sind dahin auszulegen, dass eine gerichtliche Entscheidung, die ergangen ist, ohne dass der Schuldner von der Anschrift des Gerichts unterrichtet worden ist, an das seine Antwort zu richten ist, vor dem er zu erscheinen hat oder bei dem er gegebenenfalls einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann, nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tartu Maakohus (Gericht erster Instanz Tartu, Estland) mit Entscheidung vom 10. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2017, in dem Verfahren
Collect Inkasso OÜ,
ITM Inkasso OÜ,
Bigbank AS
gegen
Rain Aint,
Lauri Palm,
Raiko Oikimus,
Egle Noor,
Artjom Konjarov
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richterinnen C. Toader (Berichterstatterin) und A. Prechal,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin, M. Heller und E. Randvere als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Buchst. a und Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. 2004, L 143, S. 15).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von fünf Rechtsstreitigkeiten zwischen den Gläubigern Collect Inkasso OÜ, ITM Inkasso OÜ und Bigbank AS, drei Gesellschaften estnischen Rechts, einerseits und den Schuldnern Rain Aint, Lauri Palm, Raiko Oikimus, Egle Noor und Artjom Konjarov andererseits über die Bestätigung von gegen die Schuldner in Abwesenheit ergangenen Mahnbescheiden als Europäische Vollstreckungstitel.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 10, 12 und 13 der Verordnung Nr. 805/2004 lauten:
„(10) Auf die Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung, die in einem anderen Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung in einem Verfahren ergangen ist, auf das sich der Schuldner nicht eingelassen hat, kann nur dann verzichtet werden, wenn eine hinreichende Gewähr besteht, dass die Verteidigungsrechte beachtet worden sind.
…
(12) Für das gerichtliche Verfahren sollten Mindestvorschriften festgelegt werden, um sicherzustellen, dass der Schuldner so rechtzeitig und in einer Weise über das gegen ihn eingeleitete Verfahren, die Notwendigkeit seiner aktiven Teilnahme am Verfahren, wenn er die Forderung bestreiten will, und über die Folgen seiner Nichtteilnahme unterrichtet wird, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung treffen kann.
(13) Wegen der Unterschiede im Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten, insbesondere bei den Zustellungsvorschriften, müssen die Mindestvorschriften präzise und detailliert definiert sein. So kann insbesondere eine Zustellungsform, die auf einer juristischen Fiktion beruht, im Hinblick auf die Einhaltung der Mindestvorschriften nicht als ausreichend für die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel angesehen werden.”
Rz. 4
Art. 3 „Vollstreckungstitel, die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden”) Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung sieht vor:
„Diese Verordnung gilt für Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden über unbestrittene Forderungen.
Eine Forderung gilt als ‚unbestritten’, wenn
…
b) der Schuldner ihr im gerichtlichen Verfahren zu keiner Zeit nach den maßgeblichen Verfahrensvorschriften des Rechts des Ursprungsmitgliedstaats widersprochen hat oder
…”
Rz. 5
Art. 6 „Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel”) Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung bestimmt:
„Eine in einem Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung ergangene Entscheidung wird auf jederzeitigen Antrag an das Ur...