Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Abfälle. Wiederverwendung und Verwertung von Abfällen. Spezifische Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft von aufbereitetem Klärschlamm. Fehlen von auf Unionsebene oder nationaler Ebene festgelegten Kriterien
Normenkette
Richtlinie 2008/98/EG
Beteiligte
Tenor
Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien ist dahin auszulegen, dass
- er einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, wonach, wenn auf Ebene der Europäischen Union für eine bestimmte Art von Abfällen keine Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft festgelegt wurden, das Ende der Abfalleigenschaft davon abhängt, ob für eine konkrete Art von Abfällen Kriterien bestehen, die durch einen innerstaatlichen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung festgelegt wurden, und
- er einen Abfallbesitzer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht berechtigt, von der zuständigen Behörde oder einem Gericht des Mitgliedstaats die Feststellung des Endes der Abfalleigenschaft zu verlangen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tallinna Ringkonnakohus (Bezirksgericht Tallinn, Estland) mit Entscheidung vom 22. Januar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2018, in dem Verfahren
Tallinna Vesi AS
gegen
Keskkonnaamet,
Beteiligter:
Keskkonnaministeerium,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter T. von Danwitz, E. Levits, C. Vajda und P. G. Xuereb,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Tallinna Vesi AS, vertreten durch T. Pikamäe, vandeadvokaat,
- der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Sanfrutos Cano, E. Kružíková und F. Thiran als Bevollmächtigte im Beistand von L. Naaber-Kivisoo, vandeadvokaat,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. November 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tallinna Vesi AS und dem Keskkonnaamet (Umweltamt, Estland). Gegenstand dieses Rechtsstreits sind zwei Bescheide des Umweltamts, mit denen Tallinna Vesi die Genehmigung für die Verwertung von Abfällen erteilt und die Feststellung des Endes der Abfalleigenschaft von aufbereitetem Klärschlamm abgelehnt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/98 lautet:
„Die Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle [(ABl. 2006, L 114. S. 9)] legt den Rechtsrahmen für den Umgang mit Abfällen in der Gemeinschaft fest. Sie enthält Bestimmungen wichtiger Begriffe wie Abfall, Verwertung und Beseitigung und schafft grundlegende Anforderungen an die Bewirtschaftung von Abfällen, insbesondere eine Genehmigungs- bzw. Registrierungspflicht von Anlagen oder Unternehmen, die Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen durchführen, und eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Aufstellung von Abfallbewirtschaftungsplänen. Ferner enthält sie wichtige Grundsätze wie z. B. eine Verpflichtung, mit Abfällen so umzugehen, dass die Umwelt und die menschliche Gesundheit nicht beeinträchtigt werden, sowie einen Aufruf zur Einhaltung der Abfallhierarchie und im Einklang mit dem Verursacherprinzip eine Anforderung, wonach die Kosten der Abfallbeseitigung vom Abfallbesitzer, den früheren Abfallbesitzern oder den Herstellern des Erzeugnisses, von dem der Abfall stammt, zu tragen sind.”
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 28 und 29 der Richtlinie 2008/98 heißt es:
„(28) Diese Richtlinie sollte dazu beitragen, die EU dem Ziel einer ‚Recycling-Gesellschaft’ näher zu bringen, indem die Erzeugung von Abfall vermieden und Abfall als Ressource verwendet wird. …
(29) Die Mitgliedstaaten sollten die Verwendung von Recyclingmaterialien … im Einklang mit der Abfallhierarchie und dem Ziel der Schaffung einer Recyclinggesellschaft fördern und die Deponierung oder Verbrennung solcher Recyclingmaterialien nach Möglichkeit nicht unterstützen.”
Rz. 5
Der 30. Erwägungsgrund dieser Richtlinie sieht vor:
„Zur Umsetzung der Grundsät...