Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Führerschein. Gegenseitige Anerkennung. Tragweite der Anerkennungspflicht. Umgetauschter Führerschein. Umtausch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Fahrerlaubnis vom Ausstellungsmitgliedstaat entzogen worden war. Betrug. Verweigerung der Anerkennung des beim Umtausch ausgestellten Führerscheins
Normenkette
Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 11 Abs. 4
Beteiligte
Tenor
1. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein ist dahin auszulegen, dass vorbehaltlich der in der Richtlinie festgelegten Ausnahmen die in dieser Bestimmung vorgesehene gegenseitige Anerkennung ohne jede Formalität auf Führerscheine anwendbar ist, die infolge eines Umtauschs gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie ausgestellt wurden.
2. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 ist dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, die Anerkennung eines nach Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie umgetauschten Führerscheins mit der Begründung abzulehnen, dass er dem Inhaber dieses Führerscheins vor dem Umtausch die Fahrerlaubnis entzogen hatte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Aachen (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 2019, in dem Verfahren
Marvin M.
gegen
Kreis Heinsberg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn M., vertreten durch Rechtsanwalt H. D. Gebauer,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 sowie von Art. 11 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. 2006, L 403, S. 18).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Marvin M. und dem Kreis Heinsberg (Deutschland) über dessen Entscheidung, die Anerkennung des Herrn M. von den niederländischen Behörden ausgestellten Führerscheins zu verweigern.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2 und 8 der Richtlinie 2006/126 heißt es:
„(2) Die Regelungen zum Führerschein sind wesentliche Bestandteile der gemeinsamen Verkehrspolitik, tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei und erleichtern die Freizügigkeit der Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der den Führerschein ausgestellt hat, niederlassen. Angesichts der Bedeutung der individuellen Verkehrsmittel fördert der Besitz eines vom Aufnahmemitgliedstaat anerkannten Führerscheins die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit der Personen. …
…
(8) Aus Gründen der Straßenverkehrssicherheit sollten die Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgelegt werden. Die Normen für die von den Fahrern abzulegenden Prüfungen und für die Erteilung der Fahrerlaubnis müssen harmonisiert werden. Zu diesem Zweck sollten die Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs festgelegt werden, die Fahrprüfung sollte auf diesen Konzepten beruhen, und die Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen dieser Fahrzeuge sollten neu festgelegt werden.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten führen einen nationalen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem in Anhang I wiedergegebenen EG-Muster ein. Das Emblem auf Seite 1 des EG-Muster-Führerscheins enthält das Unterscheidungszeichen des ausstellenden Mitgliedstaats.”
Rz. 5
Art. 2 („Gegenseitige Anerkennung”) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.”
Rz. 6
In Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festgelegt, die die Fahrtüchtigkeit und den Wohnsitz des Antragstellers in dem Gebiet des Staates, der den Führerschein ausstellt, betreffen.
Rz. 7
In Art. 11 der Richtlinie 2006/126 heißt es:
„(1) Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen. Es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, zu prüfen, für welche Fahrzeugklasse der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist.
(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und po...