Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Ausgleichsleistungen für Fluggäste bei Annullierung von Flügen. Art und Grundlage des Ausgleichsanspruchs. Abtretung der Forderungen von Fluggästen gegen das Luftfahrtunternehmen an eine Handelsgesellschaft. Vertragsklausel, die eine solche Abtretung verbietet. Ausschluss der Rechtsbeschränkung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 1, 3, Art. 7 Abs. 1, Art. 15
Beteiligte
Air Europa Líneas Aéreas SAU |
Tenor
1.Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 sowie Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
sind dahin auszulegen, dass
sich im Fall der Annullierung eines Flugs der Anspruch der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf die in diesen Bestimmungen vorgesehene Ausgleichsleistung und die entsprechende Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu deren Zahlung unmittelbar aus dieser Verordnung ergeben.
2.Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
er der Einbeziehung einer Klausel in einen Beförderungsvertrag entgegensteht, die die Abtretung von Ansprüchen verbietet, die dem Fluggast gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nach den Bestimmungen dieser Verordnung zustehen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-11/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Mercantil n.º 1 de Palma de Mallorca (Handelsgericht Nr. 1 Palma de Mallorca, Spanien) mit Entscheidung vom 31. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2023, in dem Verfahren
Eventmedia Soluciones SL
gegen
Air Europa Líneas Aéreas SAU
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Eventmedia Soluciones SL, vertreten durch R. M. Jiménez Varela, Procuradora, und A. M. Martínez Cuadros, Abogada,
- – der Air Europa Líneas Aéreas SAU, vertreten durch N. de Dorremochea Guiot, Procurador, und E. Olea Ballesteros, Abogado,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,
- – der litauischen Regierung, vertreten durch S. Grigonis und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch J. L. Buendía Sierra, N. Ruiz García und G. Wilms als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1) sowie von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eventmedia Soluciones SL (im Folgenden: Eventmedia), der Zessionarin der Forderungen von sechs Fluggästen, und der Air Europa Líneas Aéreas SAU (im Folgenden: Air Europa) wegen einer Ausgleichsleistung aufgrund der Annullierung eines Flugs.
Unionsrecht
Verordnung (EG)Nr.44/2001
Rz. 3
Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) sah in Art. 5 Nr. 1 Buchst. a vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre…“
VerordnungNr.261/2004
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 1, 7 und 20 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:
„(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnun...