Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Gesundheit. Technische Anforderungen für Blut und Blutbestandteile. Blutspende. Eignungskriterien für die Spender. Kriterien für einen Ausschluss oder eine Rückstellung. Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt. Mann, der sexuelle Beziehungen zu einem Mann hatte. Sexuelle Ausrichtung. Diskriminierung. Rechtfertigung. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Richtlinie 2004/33/EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 21 Abs. 1, Art. 52 Abs. 1
Beteiligte
Ministre des Affaires sociales, de la Santé et des Droits des femmes |
Établissement français du sang |
Tenor
Nr. 2.1 des Anhangs III der Richtlinie 2004/33/EG der Kommission vom 22. März 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile ist dahin auszulegen, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Kriterium für einen Ausschluss von der Blutspende, nämlich das Sexualverhalten, den Fall erfasst, dass ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die in diesem herrschende Situation eine dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden für Männer vorsieht, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten für diese Personen ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif de Strasbourg (Frankreich) mit Entscheidung vom 1. Oktober 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Oktober 2013, in dem Verfahren
Geoffrey Léger
gegen
Ministre des Affaires sociales, de la Santé et des Droits des femmes,
Établissement français du sang
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin K. Jürimäe, der Richter J. Malenovský und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F. Gloaguen als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Gheorghiu und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juli 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Nr. 2.1 des Anhangs III der Richtlinie 2004/33/EG der Kommission vom 22. März 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile (ABl. L 91, S. 25).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Léger und dem Ministre des Affaires sociales, de la Santé et des Droits des femmes sowie dem Établissement français du sang wegen der Weigerung, die Blutspende von Herrn Léger zuzulassen, mit der Begründung, dass er eine sexuelle Beziehung zu einem Mann gehabt habe.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2002/98/EG
Rz. 3
Die Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. L 33, S. 30) stützt sich auf Art. 152 Abs. 4 Buchst. a EG.
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 1, 2, 24 und 29 der Richtlinie 2002/98 lauten:
„(1) Das Ausmaß, in dem menschliches Blut therapeutisch verwendet wird, macht es erforderlich, dass insbesondere zur Verhütung der Übertragung von Krankheiten die Qualität und Sicherheit von Blut und Blutbestandteilen gewährleistet wird.
(2) Die Verfügbarkeit von Blut und Blutbestandteilen für therapeutische Zwecke hängt weitgehend davon ab, ob Bürger der Gemeinschaft zur Blutspende bereit sind. Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zur Verhütung der Übertragung von Infektionskrankheiten müssen bei deren Gewinnung, Verarbeitung, Verteilung und Verwendung alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen bei entsprechender Berücksichtigung des wissenschaftlichen Fortschritts im Bereich des Nachweises, der Inaktivierung und der Beseitigung von durch Transfusionen übertragbaren Krankhe...