Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Vorsteuerkürzung bei Verletzung der Pflicht zur Verwendung einer Registrierkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wie es in den Art. 2 Abs. 1 und 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer und den Art. 2, 10 Abs. 1 und 2 sowie 17 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2004/7/EG des Rates vom 20. Januar 2004 geänderten Fassung definiert wurde, steht dem nicht entgegen, dass ein Mitgliedstaat vorübergehend das Recht auf Vorsteuerabzug von Steuerpflichtigen einschränkt, die bei der Aufzeichnung ihrer Verkäufe eine Formvorschrift verletzt haben, sofern die so vorgesehene Sanktion dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
2. Bestimmungen wie Art. 111 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 11. März 2004 über die Steuer auf Waren und Dienstleistungen (ustawa o podatku od towarów i usług) sind keine „abweichenden Sondermaßnahmen“ zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen im Sinne von Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2004/7 geänderten Fassung.
3. Art. 33 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2004/7 geänderten Fassung steht der Beibehaltung von Bestimmungen wie Art. 111 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 11. März 2004 über die Steuer auf Waren und Dienstleistungen nicht entgegen.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 2, 10 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1-2, Art. 33; EWGRL 227/67 Art. 2 Abs. 1-2
Beteiligte
Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski (vormals Profaktor Kulesza, Frankowski, Trzaska) |
Dyrektor Izby Skarbowej w Bialymstoku |
Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski sp. J |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Urteil vom 21.05.2009; ABl. EU 2009, Nr. C 193/6) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Mehrwertsteuer ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Kürzung des abzugsfähigen Betrags bei Verletzung der Pflicht zur Verwendung einer Registrierkasse“
In der Rechtssache C-188/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) mit Entscheidung vom 21. Mai 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Mai 2009, in dem Verfahren
Dyrektor Izby Skarbowej w Białymstoku
gegen
Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski sp. j, vormals Profaktor Kulesza, Frankowski, Trzaska sp. j,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter K. Schiemann, L. Bay Larsen und D. Šváby,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz, A. Rutkowska und A. Kramarczyk als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou und K. Herrmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1301, im Folgenden: Erste Mehrwertsteuerrichtlinie) und der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2004/7/EG des Rates vom 20. Januar 2004 (ABl. L 27, S. 44) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski sp. J, vormals Profaktor Kulesza, Frankowski, Trzaska sp. j (im Folgenden: Profaktor), und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Białymstoku (Direktor der Finanzkammer Białystok) wegen der Einschränkung des Rechts auf Abzug der auf den vorausgehenden Umsatzstufen lastenden Mehrwertsteuer, wenn der Steuerpflichtige seine Pflicht verletzt hat, für die Aufzeichnung der Verkäufe an „natürliche Personen, die keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben,“ eine Registrierkasse zu verwenden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 und 2 der Ersten Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine zum P...