Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Einwanderungspolitik. Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken. Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken. Andere Zwecke. Visumverweigerung. Ablehnungsgründe. Nichtumsetzung. Allgemeiner Grundsatz des Missbrauchsverbots. Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf
Normenkette
RL 801/2016 EU Art. 20 Abs. 2 Buchst. f., Art. 34 Abs. 5; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Tenor
1.Die Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit ist, insbesondere in Anbetracht ihres Art. 3 Nr. 3,
dahin auszulegen, dass
sie einen Mitgliedstaat, der Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie nicht umgesetzt hat, nicht daran hindert, in Anwendung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots einen Antrag auf Zulassung in sein Hoheitsgebiet zu Studienzwecken mit der Begründung abzulehnen, dass der Drittstaatsangehörige diesen Antrag gestellt habe, ohne die tatsächliche Absicht zu haben, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu studieren.
2.Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
ist dahin auszulegen, dass
er dem nicht entgegensteht, dass der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der zuständigen Behörden, mit der ein Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken abgelehnt wird, ausschließlich in einer Nichtigkeitsklage besteht, ohne dass das mit diesem Rechtsbehelf befasste Gericht befugt ist, gegebenenfalls seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der zuständigen Behörden zu setzen oder eine neue Entscheidung zu erlassen, sofern die Bedingungen, unter denen dieser Rechtsbehelf eingelegt wird und gegebenenfalls das dazu ergangene Urteil vollstreckt wird, den Erlass einer neuen, mit der im Nichtigkeitsurteil enthaltenen Beurteilung im Einklang stehenden Entscheidung innerhalb kurzer Zeit ermöglichen, so dass ein hinreichend sorgfältiger Drittstaatsangehöriger die volle Wirksamkeit seiner Rechte aus der Richtlinie 2016/801 genießen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-14/23 [Perle](
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 23. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2023, in dem Verfahren
XXX
gegen
État belge,vertreten durch die Secrétaire d’État à l’Asile et la Migration,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter Z. Csehi und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von XXX, vertreten durch D. Andrien, Avocat,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte im Beistand von E. Derriks und K. de Haes, Avocats,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Očková und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der litauischen Regierung, vertreten durch E. Kurelaitytė als Bevollmächtigte,
- – der luxemburgischen Regierung, vertreten durch A. Germeaux und T. Schell als Bevollmächtigte,
- – der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch E. M. M. Besselink als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. 2016, L 132, S. 21), insbesondere ihres Art. 3 Nr. 3, Art. 20 Abs. 2 Buchst. f und Art. 34 Abs. 5, sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XXX und dem belgischen Staat, vertreten durch die Secrétaire d’État à l’Asile et la Migration (Staatss...