Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Verbot mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Teilzeitbeschäftigung. Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit. Verbot, Teilzeitbeschäftigte gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten schlechter zu behandeln. Zahlung von Überstundenzuschlägen für von Teilzeitbeschäftigten geleistete Überstunden nur für die Stunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinausgehen
Normenkette
AEUV Art. 157; Richtlinie 2006/54/EG Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 1; Richtlinie 97/81/EG; Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit § 4
Beteiligte
KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation |
KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV |
Tenor
1.Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit
ist dahin auszulegen, dass
eine nationale Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit von sich in einer vergleichbaren Lage befindenden vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern hinaus gearbeitet werden, eine „schlechtere“ Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne dieses Paragrafen 4 Nr. 1 darstellt, die nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf der einen Seite das Ziel verfolgt wird, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, und auf der anderen Seite das Ziel, zu verhindern, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden.
2.Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen
sind dahin auszulegen, dass
zum einen eine nationale Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit von sich in einer vergleichbaren Lage befindenden vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern hinaus gearbeitet werden, eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn erwiesen ist, dass diese Regelung einen signifikant höheren Anteil von Personen weiblichen Geschlechts als Personen männlichen Geschlechts benachteiligt, und zwar ohne dass die Gruppe der durch diese Regelung nicht benachteiligten Arbeitnehmer – die Vollzeitbeschäftigten – gleichzeitig aus erheblich mehr Männern als Frauen bestehen muss, und dass zum anderen eine solche Diskriminierung nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf der einen Seite das Ziel verfolgt wird, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, und auf der anderen Seite das Ziel, zu verhindern, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen C-184/22 und C-185/22
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 28. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 2022, in den Verfahren
IK(C-184/22),
CM(C-185/22)
gegen
KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von IK, vertreten durch Rechtsanwältin J. Windhorst,
- – des KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV, vertreten durch Rechtsanwalt K. M. Weber,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch J. F. Kronborg, C. Maertens und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- – der norwegischen Regierung, vertreten durch T. Hostvedt Aarthun und I. Thue als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia, E. Schmidt und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 157 AEUV, von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Ver...