Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gesellschaften. Spaltung von Aktiengesellschaften. Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften. Wendung ‚Gegenstand des Passivvermögens[, der] im Spaltungsplan nicht zugeteilt [wird]‘. Gesamtschuldnerische Haftung dieser neuen Gesellschaften für Passiva, die auf Verhaltensweisen der gespaltenen Gesellschaft vor deren Spaltung zurückzuführen sind
Normenkette
Richtlinie 82/891/EWG Art. 3 Abs. 3 Buchst. b
Beteiligte
Ministero dell’Economia e delle Finanze |
Ministero dell’Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare |
Presidenza del Consiglio dei ministri |
Tenor
Art. 3 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des [EWG-]Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften
ist dahin auszulegen, dass
die in dieser Bestimmung enthaltene Regelung über die gesamtschuldnerische Haftung der begünstigten Gesellschaften nicht nur für definierte Gegenstände des Passivvermögens gilt, die in einem Spaltungsplan nicht zugeteilt werden, sondern auch für nicht definierte Gegenstände wie Sanierungskosten und Umweltschäden, die nach der betreffenden Spaltung festgestellt, bewertet oder bilanziert wurden und auf Verhaltensweisen der gespalteten Gesellschaft zurückgehen, die vor der Spaltung liegen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-713/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 3. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 2022, in dem Verfahren
LivaNova plc
gegen
Ministero dell’Economia e delle Finanze,
Ministero dell’Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare,
Presidenza del Consiglio dei ministri,
Beteiligte:
SNIA SpA,der Sonderverwaltung unterstellt,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan, T. von Danwitz und Z. Csehi, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, P. G. Xuereb (Berichterstatter), I. Jarukaitis und A. Kumin, der Richterin M. L. Arastey Sahún und des Richters M. Gavalec,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der LivaNova plc, vertreten durch A. Auricchio, B. Nascimbene, G. C. Rizza, R. Sacchi, C. Santoro, M. Siragusa, D. Vecchi und R. Zaccà, Avvocati,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Di Leo, P. Gentili und F. Vignoli, Avvocati dello Stato,
- – der griechischen Regierung, vertreten durch V. Baroutas und K. Boskovits als Bevollmächtigte,
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und E. Samoilova als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, L. Malferrari und P. A. Messina als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des [EWG-]Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (ABl. 1982, L 378, S. 47).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, bei dem sich die LivaNova plc auf der einen und das Ministero dell’Economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, Italien), das Ministero dell’Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare (Ministerium für Umwelt, Landschafts- und Meeresschutz, Italien) (im Folgenden: Ministerium für Umwelt) sowie die Presidenza del Consiglio dei ministri (Präsidium des Ministerrats, Italien) auf der anderen Seite gegenüberstehen und der die Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung von LivaNova für Verbindlichkeiten aufgrund der von der SNIA SpA verursachten Sanierungskosten und Umweltschäden betrifft, die auf Verhaltensweisen vor und nach der Spaltung von SNIA, aus der die Sorin SpA (nunmehr LivaNova) hervorgegangen ist, zurückzuführen sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Dritte Richtlinie 78/855/EWG
Rz. 3
Die Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des [EWG-]Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (ABl. 1978, L 295, S. 36) wurde durch die Richtlinie 2011/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (ABl. 2011, L 110, S. 1) mit Wirkung vom 1. Juli 2011 aufgehoben.
Rz. 4
Art. 1 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Dritten Richtlinie 78/855 sah vor:
„Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten ...