Entscheidungsstichwort (Thema)
Märkte für Finanzinstrumente. Wohlverhaltensregeln bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen für Kunden. Anlageberatung. Andere Wertpapierdienstleistungen. Verpflichtung zur Beurteilung der Eignung und Angemessenheit der angebotenen Dienstleistung. Vertragliche Folgen der Nichterfüllung dieser Verpflichtung. Wertpapierdienstleistung, die als Teil eines Finanzprodukts angeboten wird. ‚Swaps’ zum Schutz vor Zinsschwankungen bei Finanzprodukten
Normenkette
Richtlinie 2004/39/EG Art. 19
Beteiligte
Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos |
Comercial Hostelera de Grandes Vinos SL |
Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA |
Tenor
1. Art. 19 Abs. 9 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass zum einen eine Wertpapierdienstleistung nur dann als Teil eines Finanzprodukts angeboten wird, wenn sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie dem Kunden angeboten wird, integraler Bestandteil dieses Produkts ist, und zum anderen die Bestimmungen des Unionsrechts und die gemeinsamen europäischen Normen, auf die diese Vorschrift Bezug nimmt, eine Bewertung des Risikos für den Kunden erlauben und/oder Informationspflichten enthalten müssen, die auch die Wertpapierdienstleistung, die integraler Bestandteil des fraglichen Finanzprodukts ist, umfassen, damit diese Dienstleistung nicht mehr den in Art. 19 vorgesehenen Verpflichtungen unterliegt.
2. Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2004/39 ist dahin auszulegen, dass es als Anlageberatung im Sinne der Begriffsbestimmung in dieser Vorschrift anzusehen ist, wenn einem Kunden ein Swap zur Deckung des Risikos von Zinsschwankungen eines Finanzprodukts, das dieser Kunde gezeichnet hat, angeboten wird, sofern die Empfehlung, die sich auf die Unterzeichnung eines solchen Swaps bezieht, an diesen Kunden in seiner Eigenschaft als Anleger gerichtet ist, als für ihn geeignet dargestellt wird oder auf eine Prüfung seiner Verhältnisse gestützt ist und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit gegeben wird.
3. Es kommt der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten zu, festzulegen, welche vertraglichen Folgen es haben muss, wenn eine Wertpapierfirma, die eine Wertpapierdienstleistung anbietet, die in Art. 19 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2004/39 in Bezug auf die Bewertung vorgesehenen Anforderungen nicht erfüllt, wobei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden müssen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia n° 12 de Madrid (Spanien) mit Entscheidung vom 14. November 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 2011, in dem Verfahren
Genil 48 SL,
Comercial Hostelera de Grandes Vinos SL
gegen
Bankinter SA,
Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Genil 48 SL, vertreten durch P. Rico Cadenas, procuradora,
- der Comercial Hostelera de Grandes Vinos SL, vertreten durch B. Grande Pesquero, procuradora, sowie E. Zato Tajada und C. Navarro García, abogados,
- der Bankinter SA und der Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA, vertreten durch J. Massaguer Fuentes und J. Iglesias Rodríguez, abogados,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und T. Müller als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar und B. Majczyna als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, E. Traversa und R. Vasileva als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 und Art. 19 Abs. 4, 5 und 9 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. L 145, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen zum einen der Genil 48 SL (im Folgenden:...