Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Landwirtschaft. Gemeinsame Marktorganisation. Vermarktungsnormen. Frisches Geflügelfleisch in Fertigpackungen. Verpflichtung zur Angabe des Gesamtpreises und des Preises je Gewichtseinheit auf der Verpackung oder auf einem daran befestigten Etikett. Unternehmerische Freiheit. Verhältnismäßigkeit. Nichtdiskriminierung
Normenkette
EGVO 543/2008; AEUV Art. 40 Abs. 2 Unterabs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 16
Beteiligte
Tenor
1. Die Prüfung der ersten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 5 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 543/2008 der Kommission vom 16. Juni 2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch im Hinblick auf die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beeinträchtigen könnte.
2. Die Prüfung der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 5 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung Nr. 543/2008 im Hinblick auf das in Art. 40 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV vorgeschriebene Diskriminierungsverbot beeinträchtigen könnte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 19. März 2015, in dem Verfahren
Lidl GmbH & Co. KG
gegen
Freistaat Sachsen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Lidl GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwälte A. Pitzer und M. Grube,
- des Freistaats Sachsen, vertreten durch I. Gruhne als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Schima und K. Skelly als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. März 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 5 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 543/2008 der Kommission vom 16. Juni 2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch (ABl. 2008, L 157, S. 46).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lidl GmbH & Co. KG (im Folgenden: Lidl), einem Einzelhandelsunternehmen, und dem Freistaat Sachsen (Deutschland) wegen der in dieser Vorschrift vorgesehenen Verpflichtung, beim Verkauf von frischem Geflügelfleisch in Fertigpackungen im Einzelhandel auf der Verpackung oder auf einem daran befestigten Etikett den Gesamtpreis und den Preis je Gewichtseinheit anzubringen (im Folgenden: Etikettierungspflicht).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 39 AEUV beschreibt die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik. Um diese Ziele zu erreichen, können nach Art. 41 Buchst. b AEUV u. a. gemeinsame Maßnahmen zur Förderung des Verbrauchs bestimmter Erzeugnisse vorgesehen werden.
Rz. 4
Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2777/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Geflügelfleisch (ABl. 1975, L 282, S. 77) bestimmte, dass insbesondere zur Förderung der Vermarktung bestimmter Erzeugnisse oder zur Verbesserung ihrer Qualität gemeinschaftliche Maßnahmen getroffen werden konnten. Vermarktungsnormen konnten u. a. die Verpackung, die Aufmachung und die Kennzeichnung betreffen.
Rz. 5
Die Verordnung (EWG) Nr. 1906/90 des Rates vom 26. Juni 1990 über Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch (ABl. 1990, L 173, S. 1) führte besondere Vorschriften im Bereich der Etikettierung ein, darunter die Verpflichtung, im Einzelhandel bei frischem Geflügelfleisch in Fertigpackungen auf der Verpackung oder auf einem daran befestigten Etikett den Gesamtpreis und den Preis je Gewichtseinheit anzubringen.
Rz. 6
Der zweite Erwägungsgrund dieser Verordnung lautete:
„Solche Normen können zur Verbesserung der Geflügelfleischqualität beitragen und insofern den Verkauf dieses Fleisches fördern. Es liegt also im Interesse der Erzeuger, des Handels und der Verbraucher, dass für Geflügelfleisch zum menschlichen Verzehr Vermarktungsnormen verwendet werden.”
Rz. 7
In Art. 5 Abs. 3 Buchst. b dieser Verordnung hieß es:
„Bei Geflügelfleisch in Fertigpackungen sind auf der Verpackung oder auf einem daran befestigten Etikett folgende Angaben anzubringen:
…
b) bei frischem Geflügelfleisch Gesamtpreis und Preis je Gewichtseinheit auf der Einzelhandelsstufe”.
Rz. 8
Die Verordnung Nr. 2777/75 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften...