Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziation EWG. Türkei. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Persönlicher Anwendungsbereich. Begriff des „Familienangehörigen” eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers. Stiefsohn eines solchen Arbeitnehmers

 

Beteiligte

Ayaz

Engin Ayaz

Land Baden-Württemberg

 

Tenor

Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass der noch nicht 21 Jahre alte oder Unterhalt beziehende Stiefsohn eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift ist und die Rechte nach diesem Beschluss besitzt, wenn er ordnungsgemäß die Genehmigung erhalten hat, zu diesem Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,

eingereicht vom Verwaltungsgericht Stuttgart (Deutschland) mit Beschluss vom 11. Juli 2002, beim Gerichtshof eingetragen am 26. Juli 2002, in dem Verfahren

Engin Ayaz

gegen

Land Baden-Württemberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und R. Schintgen (Berichterstatter) sowie der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch S. Karajan als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Mai 2004,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685; im Folgenden: Assoziierungsabkommen).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ayaz, einem türkischen Staatsangehörigen (im Folgenden: Kläger), und dem Land Baden-Württemberg über dessen Entscheidung, die befristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers für Deutschland abzulehnen und ihn aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats auszuweisen.

Rechtlicher Rahmen

Die Assoziation EWG-Türkei

3

Nach Artikel 2 Absatz 1 hat das Assoziierungsabkommen zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, auch im Bereich der Arbeitskräfte, zu fördern durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artikel 12) sowie die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Artikel 13) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Artikel 14), um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu bessern und später den Beitritt der Republik Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierte Begründungserwägung und Artikel 28).

4

Dazu sieht das Assoziierungsabkommen eine Vorbereitungsphase vor, die es der Republik Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Artikel 3), eine Übergangsphase, in der die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken vorgesehen ist (Artikel 4), und eine auf der Zollunion beruhende Endphase, die eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken einschließt (Artikel 5).

5

Artikel 12 in Titel II – Durchführung der Übergangsphase – des Assoziierungsabkommens lautet:

„Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.”

6

Artikel 22 Absatz 1 des Assoziierungsabkommens sieht vor:

„Zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen ist der Assoziationsrat befugt, Beschlüsse zu fassen. Jede der beiden Parteien ist verpflichtet, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu treffen. …

7

Das Zusatzprotokoll, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1; im Fol...

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