Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit. Besondere Zuständigkeiten. Widerklage, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird bzw. die nicht darauf gestützt wird
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 8 Nr. 3
Beteiligte
Tenor
Art. 8 Nr. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er in einem Fall, in dem der Beklagte bei dem Gericht, das für die Entscheidung über eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Klägers, die darin bestehen soll, dass Fotos und Videoaufnahmen ohne dessen Wissen gemacht wurden, zuständig ist, eine Widerklage auf Schadensersatz aus deliktischer oder quasi deliktischer Haftung des Klägers insbesondere für die Beschränkung seiner geistigen Schöpfung, die Gegenstand der Klage ist, erhebt, auf nicht ausschließlicher Basis anwendbar ist, wenn das Gericht im Zuge der Prüfung der Widerklage die Frage beurteilen muss, ob die Handlungen, auf die der Kläger seine eigenen Ansprüche stützt, rechtmäßig sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tatabányai Törvényszék (Gerichtshof Tatabánya, Ungarn) mit Entscheidung vom 17. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 2017, in dem Verfahren
Éva Nothartová
gegen
Sámson József Boldizsár
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und P. Lacerda als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Talabér-Ritz und M. Heller als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Nr. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem Frau Éva Nothartová gegen Herrn Sámson József Boldizsár klagt, der ihr Recht am eigenen Bild und Ton verletzt haben soll. In diesem Zusammenhang hat Herr Boldizsár eine Widerklage erhoben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nach ihrem vierten Erwägungsgrund sollen mit der Verordnung Nr. 1215/2012 im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts „Bestimmungen [eingeführt werden], um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind”.
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 15 und 16 dieser Verordnung lauten:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.”
Rz. 5
Die Zuständigkeitsregeln sind in Kapitel II der Verordnung enthalten.
Rz. 6
Art. 4 Abs. 1 in Kapitel II Abschnitt 1 „Allgemeine Bestimmungen”) der Verordnung lautet:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgli...