Prof. Dr. Anja Mengel, Jan Peters
Die Europäische Betriebsräte-Richtlinie ist als ein Beispiel moderner europäischer Gesetzgebung bezeichnet worden. Der Grund dafür ist ihre Flexibilität. So gibt die Richtlinie keinen starren Rahmen für den Europäischen Betriebsrat vor, sondern überlässt die grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer vorrangig der Gestaltungsfreiheit der Beteiligten.
Das Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG) bildet die in Deutschland maßgebliche Grundlage für die grenzübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, die in europaweit tätigen Unternehmen beschäftigt sind.
Ein europäischer Betriebsrat kann mittels einer Vereinbarung über ein Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern oder – sollte es zu keiner Vereinbarung kommen – kraft Gesetzes gegründet werden.
1.1 Sitz und Schwellenwerte
Unter das EBRG fallen unionsweit tätige Unternehmen mit Sitz in Deutschland sowie unionsweit tätige Unternehmensgruppen, deren herrschendes Unternehmen in Deutschland ansässig ist. Als herrschendes Unternehmen gilt dabei die Konzerneinheit, die auf die anderen Unternehmen über von ihr bestellte Mitglieder in den Unternehmensorganen, die Mehrheit der Stimmrechte oder die Mehrheit des gezeichneten Kapitals beherrschenden Einfluss ausüben kann. Für unionsweit tätige Unternehmen oder Unternehmensgruppen mit Sitz im Ausland gilt das EBRG nur, wenn die zentrale Leitung des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe nicht in einem Mitgliedstaat liegt und es eine nachgeordnete Leitung bzw. einen benannten Vertreter in Deutschland gibt.
Die unionsweite Tätigkeit eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe bemisst sich nach der Anzahl der Arbeitnehmer und nach deren Verteilung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. So muss ein unionsweit tätiges Unternehmen mindestens 1.000 Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten haben und davon müssen jeweils mindestens 150 Personen in mindestens 2 Mitgliedstaaten beschäftigt sein. Unionsweit tätige Unternehmensgruppen müssen ebenfalls über mindestens 1.000 Beschäftigte in den Mitgliedstaaten verfügen. Weiterhin müssen ihnen mindestens 2 Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten angehören, die jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer beschäftigen
Die Frage, wer Arbeitnehmer i. S. d. EBRG ist, richtet sich nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates. Die Vorschrift des § 4 EBRG verweist auf § 5 Abs. 1 BetrVG; hiernach sind leitende Angestellte nicht erfasst. Zu den Schwellenwerten sind indes im Entleiherbetrieb tätige Leiharbeitnehmer hinzuzuzählen.
Als Mitgliedstaaten i. S. d. Gesetzes über Europäische Betriebsräte gelten nach § 2 Abs. 3 EBRG alle EU-Staaten sowie die anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (derzeit also die EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen, nicht jedoch die Schweiz). Auf Grundlage des zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich abgeschlossenen Austrittsabkommens vom 17.10.2019 sowie des Handels- und Kooperationsabkommens vom 30.12.2020 finden die Regelungen zum Europäischen Betriebsrat im Verhältnis zum Vereinigten Königreich grundsätzlich keine Anwendung mehr.
Anwendung in der SE
Auf Unternehmen in der Rechtsform der SE oder der SCE findet das EBRG grundsätzlich keine Anwendung.
1.2 Auskunftsanspruch für die Verhandlungsaufnahme
Im EBRG finden sich verschiedene Informationsrechte zu den Tatsachen, die Voraussetzung für die Bildung eines Europäischen Betriebsrats sind. Die zentrale Leitung ist nicht nur zur Erteilung von Auskünften, sondern vielmehr dazu verpflichtet, die für die Aufnahme von Verhandlungen zur Bildung eines Europäischen Betriebsrats erforderlichen Informationen zu erheben und an die Arbeitnehmervertretung weiterzuleiten. Dies umfasst neben der Gesamtzahl der Arbeitnehmer auch ihre Verteilung auf die Mitgliedstaaten. Dies gilt unabhängig davon, ob bereits feststeht, dass es innerhalb einer Unternehmensgruppe ein herrschendes Unternehmen mit Sitz im Inland gibt. Dies hat der EuGH in der Rechtssache "Bofrost" bekräftigt und damit begründet, dass die Unterrichtung notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens eines unionsweit operierendes Unternehmens sei und der Arbeitnehmervertretung daher nicht verweigert werden dürfe.
In einer weiteren Rechtssache "Kühne & Nagel" hat der EuGH entschieden, dass dann, wenn die zentrale Leitung einer Unternehmensgruppe nicht in einem Mitgliedstaat, sondern außerhalb der Europäischen Union liegt, de...