Bei meinen Erörterungen ist, so hoffe ich, deutlich geworden, wie sehr die nationalen Auffassungen vom "Missbrauch" des Aufenthaltsrechts zu Zwecken, die aufenthaltsrechtlich nicht erwünscht sind, das ausländerrechtliche Klima bestimmen.
Mein Eindruck ist, dass je weniger Regularien existieren, desto weniger Handlungsbedarf besteht. Die Freizügigkeitsrichtlinie konzentriert sich auf die Bekämpfung des eindeutigen, offensichtlichen Missbrauchs. Dass ein Heiratsmarkt existiert, der nicht selten im Bereich der organisierten Kriminalität anzusiedeln ist, und bei dem die Preise horrend sind, kann nicht außer Acht gelassen werden, ebenso wenig die menschenverachtenden Abhängigkeiten, in die ausländische Ehepartner gezwungen werden können – Stichwort Menschenhandel und Eheschließung als Mittel zur Erzwingung der Prostitution; auch kann nicht geleugnet werden, dass auch ausländische Partner und ihre Familien erheblichen Druck ausüben können, um die inländischen Ehepartner zu Positionen zu nötigen, die von ihnen eigentlich nicht gewollt sind.
Aus diesen Gründen ist die Regelung in der Freizügigkeitsrichtlinie, die nur den eindeutigen Missbrauch sanktioniert, im Übrigen aber dem Freizügigkeitsrecht innerhalb der Europäischen Union den Vorrang einräumt, nicht nur konsequent, sondern auch ausreichend, um das Problem des Missbrauchs in den Griff zu bekommen.
Die diskriminierende Behandlung von EU-Staatsangehörigen und ihren drittstaatsangehörigen Ehegatten, die von ihrem Wanderungsrecht innerhalb der Europäischen Union noch keinen Gebrauch gemacht haben, und allein deshalb von den Privilegien des Freizügigkeitsrechts ausgenommen sind, ist absurd. Das Recht der Europäischen Union muss für alle Bürger der Union gelten, und damit auch für alle Familienangehörigen aus Drittstaaten. Die Forderung, hier eine Gleichstellung zu erreichen, richtet sich in erster Linie an die Europäische Kommission bzw. den Rat der Europäischen Kommission.
Die Familienzusammenführungsrichtlinie, die den Nachzug von Drittstaatsangehörigen regelt, die nicht unter die Freizügigkeitsrichtlinie fallen, kann hier als wichtiger Schritt in die richtige Richtung verstanden werden, jedenfalls dann, wenn man sie – wofür nicht nur der Wortlaut spricht – in der Weise versteht, dass für die Versagung der Einreise und des Aufenthalts ein Missbrauch tatsächlich feststehen muss.
Sollte sich diese Auslegung international und auch in der Rechtsprechung des EuGH durchsetzen, so wäre in der Konsequenz – jedenfalls für die Visumserteilung – eine Annäherung an die Rechtsstellung von Freizügigkeitsberechtigten und ihren Familienangehörigen erreicht.
Es bleibt die unterschiedliche Betrachtungsweise der Folgen einer Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Das deutsche Recht, welches in § 31 AufenthG ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bereits nach zweijähriger ehelicher Lebensgemeinschaft gewährt, ist hier vergleichsweise moderat. Die Familienzusammenführungsrichtlinie gewährt in Art. 15 Abs. 1 ein solches Recht erst nach fünfjährigem Aufenthalt. Kein Wunder, dass die CDU im Gesetzgebungsprozess versucht hat, die unter der rot-grünen Regierung durchgesetzte Regelung in zeitlicher Hinsicht wieder zu verschärfen.
Mit dieser Art der Ungleichbehandlung werden Drittstaatsangehörige und ihre Ehegatten deshalb wohl auch in absehbarer Zukunft leben müssen.