Der Verlust eines Beweismittels kann zum Beispiel bei alten und/oder schwer erkrankten Zeugen zu befürchten sein, bei denen die Besorgnis besteht, dass sie in einem späteren Rechtsstreit nicht mehr aussagen können.[14] Als Erschwerung der Beweisaufnahme reicht es wohl aus, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt mit höheren Kosten oder größerem Aufwand verbunden wäre.[15] Explizit entschieden ist das für den Fall, dass eine Beweisaufnahme im Ausland vermieden werden kann.[16] Hier ist z.B. an Zeugen zu denken, die eine Auswanderung planen oder von Abschiebung bedroht sind. Ob ohne solche besonderen Umstände die allgemeine Befürchtung ausreicht, die Erinnerung von Zeugen könne angesichts des Zeitablaufs nachlassen, ist streitig.[17] Dafür spricht allerdings der Sinn und Zweck des selbstständigen Beweisverfahrens, die schnelle Klärung einer Sachfrage durch eine vorgezogene Beweisaufnahme zu ermöglichen. Je mehr Zeit vergeht, desto unzuverlässiger wird jeder Zeuge als Beweismittel. Die frühzeitige Vernehmung kann damit zur zutreffenden Sachverhaltsfeststellung und zur materiellen Richtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, aber auch zur einvernehmlichen Konfliktbeilegung beitragen.

Die Vernehmung von Zeugen in Familiensachen im selbstständigen Beweisverfahren ist in der Praxis noch unüblich. Sie kann aber z.B. in Güterrechtssachen für die Fragestellung in Betracht kommen, ob, an wen genau, und in welcher Höhe eine Schenkung seitens der Eltern erfolgt und dem Anfangsvermögen zuzurechnen ist. Das kann für die Berechnung des Zugewinns maßgeblich sein. Grundsätzlich denkbar ist auch eine vorgezogene Beweisaufnahme über den Trennungszeitpunkt in Ehesachen. Im Bereich der Vermögensauseinandersetzung außerhalb des Güterrechts sind ebenfalls viele Beweisfragen denkbar, die Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens sein können: Werterhöhungen durch Arbeitsleistungen, der ausdrückliche oder konkludente Abschluss von Verträgen (z.B. Treuhandverträge, Darlehen, Auftragsverhältnisse), Absprachen über die Innenhaftung für gemeinsam aufgenommene Schulden, Umstände der Mitarbeit eines Ehegatten im Betrieb des anderen etc. Im Unterhaltsrecht ist an Verwirkungsgründe zu denken, z.B. das Bestehen einer neuen Lebensgemeinschaft oder andere Umstände nach § 1579 Nr. 28 BGB. In der Praxis kommt es in diesen Konstellationen allerdings bislang – soweit ersichtlich – nicht vor.

[14] OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 575: 84-jähriger, gesundheitlich angeschlagener Zeuge.
[15] So noch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 485 Rn 7; in der 78., von Bünnigmann bearbeiteten Auflage wird diese Auffassung allerdings nicht mehr ausdrücklich vertreten.
[16] Nachweise bei Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Bünnigmann, 78. Aufl., § 485 ZPO Rn 7.
[17] Dafür Effer-Uhe, MDR 2018, 707, 711; ihm zustimmend Zöller/Herget, 33. Aufl., § 485 ZPO Rn 5; a.A. BeckOK ZPO/Kratz, 34. Ed. 1.9.2019, § 485 ZPO Rn 24.1. m.w.N.

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