Anlässlich des sog. "Staufener Missbrauchsfalls" hat die Debatte um eine Qualifizierung von Familienrichter*innen und der anderen beteiligten Akteure an Fahrt aufgenommen. Der Koalitionsvertrag erwartet "von allen an familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Berufsgruppen (…) kontinuierliche Fortbildung in fachlicher und methodischer Hinsicht für ihre anspruchsvolle Tätigkeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit." Dies wurde unterstützt durch Plädoyers für eine Qualitätsoffensive. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert den Aufbau eines interdisziplinären E-Learning-Programms. Aber der Ruf nach Fortbildung hat auch Abwehr zum Vorschein gebracht. Etwa hat sich der Direktor eines Amtsgerichts öffentlich zur Überheblichkeit hinreißen lassen, jeder Jurist mit Befähigung zum Richteramt könne sich "relativ mühelos innerhalb von gut vier Wochen" "die erforderlichen Kenntnisse des materiellen und formellen Rechts, des Jugendhilferechts und der Kinderpsychologie" aneignen.
Diese beachtliche Selbsteinschätzung dahingestellt sind Familienrichter*innen diejenigen mit der meisten Entscheidungsmacht über das Schicksal von Kindern und Eltern bzw. Familien. Gleichzeitig sind sie, EU-weit betrachtet, die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen und Institutionen am wenigsten verlässlich fortgebildeten Professionellen im Kinderschutzverfahren. Zwar werden Entscheidungen zum Schutz von Kindern nicht überall von einem Gericht getroffen. Im europäischen Vergleich zeigt sich eine große Varianz, sowohl in der Art der Entscheider als auch deren jeweiligen Qualifizierung und Kompetenz. Während Deutschland und England auf spezialisierte Familienrichter*innen an deduzierten Familiengerichten setzen, so werden Kindeswohlentscheidungen bspw. in baltischen Staaten, aber auch in Dänemark, Finnland oder Irland an allgemeinen Amts- oder Bezirksgerichten getroffen. In all diesen Ländern ist die Richterausbildung genereller Natur, d.h. auf eine spezialisierte fachliche Ausbildung zum Familienrichter wird verzichtet.
Demgegenüber stehen gerichtsähnliche Verwaltungsorgane als erstinstanzliche Entscheider. Dies betrifft u.a. die skandinavischen Länder Norwegen und Schweden sowie die Schweiz und Spanien. Hier wird erst eine eventuelle Beschwerde gegen die Entscheidung von einem Gericht entschieden. Diese strukturellen Unterschiede wirken sich auch auf die vorhandenen Kompetenzen innerhalb des Entscheidungsgremiums aus. Dieses Kompetenzspektrum reicht von Rechtskenntnis bzw. juristischem Fachwissen bis hin zu Expertenwissen im Bereich der Kindesentwicklung und der Kinderfürsorge. Exemplarisch zu nennen sind die Schweiz (Fokus auf Kinderfürsorge) und England (Fokus auf Recht) am jeweiligen Ende des Spektrums, und die skandinavischen Länder (Norwegen, Schweden) dazwischen mit multiplen, interdisziplinären Entscheidern. In Norwegen und Finnland entscheidet ein Gremium von drei Mitgliedern, in Finnland bestehend aus zwei Richter*innen und einem Expertenmitglied (üblicherweise aus den Bereichen Soziale Arbeit, Psychologie oder Bildung). In Norwegen hat ein*e Jurist*in den Vorsitz und wird unterstützt von Expert*innen mit psycho-sozialer Expertise. Die entscheidungszuständigen Kommissionen in Spanien sind interdisziplinäre mit sieben Mitgliedern, darunter ein*e Jurist*in, und in der Schweiz sind die kantonalen Entscheidungsgremien aus mindestens drei ebenfalls interdisziplinären Mitgliedern zusammengesetzt. In Finnland sind Richter*innen selbstverantwortlich für ihren adäquaten Ausbildungsstand, allerdings müssen ihnen Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. In Estland bestimmt ein Fortbildungsrat eine jährliche Ausbildungsstrategie.