BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 2.11.2021 – 1 BvR 1575/18
1. Auch vor der Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden – hier: gegen § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB – sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Damit soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, sondern zunächst die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aufgearbeitet haben (vgl. BVerfGE 79, 1 <20>; 123, 148 <172>; 143, 246 <321 Rn 209>; 150, 309 <326 Rn 42>; st.Rspr.).
2. § 1906a BGB enthält Auslegungsspielräume, zu denen sich noch keine eindeutige fachgerichtliche, zumal höchstrichterliche Rechtsprechung herausgebildet hat. Es steht daher zu erwarten, dass erst eine (weitere) fachgerichtliche Klärung dem Bundesverfassungsgericht eine gesicherte Entscheidungsgrundlage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ermöglichen wird.
3. Durch die gesetzlich vorgesehene Evaluierung ist eine weitere fachliche und rechtliche Klärung zu erwarten, welche die sachliche Entscheidungsgrundlage für das Bundesverfassungsgericht verbessern oder – nach einer Gesetzesänderung – verändern würde. Dies betrifft insbesondere Zweifel, ob die angegriffene Regelung des § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB, die ärztliche Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zulässt, der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hinreichend Rechnung trägt, soweit die Beschränkung der Zwangsbehandlung auf den stationären Bereich eines Krankenhauses dazu führt, dass zwangsläufig Schutzlücken in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung des Betroffenen entstehen.
(red. LS)
BGH, Beschl. v. 27.10.2021 – XII ZB 114/21
Die nach § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG erforderliche Anhörung des Betroffenen ist grundsätzlich durchzuführen, nachdem ihm das nach § 280 Abs. 1 S. 1 FamFG einzuholende Sachverständigengutachten rechtzeitig bekannt gegeben worden ist. Entsprechendes gilt für ein nach § 295 Abs. 1 S. 2 FamFG einzuholendes ärztliches Zeugnis (Fortführung von Senatsbeschl. v. 6.5.2020 – XII ZB 6/20, FamRZ 2020, 1303).
BGH, Beschl. v. 20.10.2021 – XII ZB 314/21
Die Beschwerdefrist gegen eine nicht dem erklärten Willen des Betroffenen entsprechende Unterbringungsgenehmigung wird nicht in Gang gesetzt, wenn der Beschluss dem Betroffenen lediglich durch Aufgabe zur Post bekanntgegeben wird. Eine Heilung der fehlerhaften Zustellung durch tatsächlichen Zugang ist in diesem Fall wegen fehlenden Zustellungswillens des Gerichts nicht möglich (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 16.6.2021 – XII ZB 358/20, FamRZ 2021, 1662).
BGH, Beschl. v. 6.10.2021 – XII ZB 205/20
Zieht das Beschwerdegericht in einer Betreuungssache für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine neue persönliche Anhörung des Betroffenen (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 15.8.2018 – XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770 und v. 18.11.2020 – XII ZB 179/20, FamRZ 2021, 303).
BGH, Beschl. v. 20.10.2021 – XII ZB 371/21
In einem Betreuungs- oder Unterbringungsverfahren kann dem Verfahrenspfleger Verfahrenskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bewilligt werden.
BGH, Beschl. v. 6.10.2021 – XII ZB 290/21
Die nach § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG erforderliche Anhörung des Betroffenen ist grundsätzlich durchzuführen, nachdem ihm das nach § 280 Abs. 1 S. 1 FamFG einzuholende Sachverständigengutachten rechtzeitig bekanntgegeben worden ist (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 10.3.2021 – XII ZB 462/20, FamRZ 2021, 1064).
BGH, Beschl. v. 22.9.2021 – XII ZB 93/21
Wird in einem Betreuungsverfahren die nach § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG zwingend erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen vom Amtsgericht erst im Abhilfeverfahren nachgeholt, darf das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen.
BGH, Beschl. v. 22.9.2021 – XII ZB 146/21
Die Anhörung leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn dem Betroffenen vor dem Anhörungstermin lediglich das schriftliche Sachverständigengutachten übermittelt, er aber nicht über ergänzende telefonische Ausführungen des Sachverständigen unterrichtet wird (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 14.10.2020 – XII ZB 244/20, FamRZ 2021, 220).
BGH, Beschl. v. 15.9.2021 – XII ZB 317/21
a) Für die Entlassung eines Betreuers gemäß § 1908b Abs. 1 BGB genügt jeder Grund, der ihn ungeeignet im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB macht. Eine konkrete Schädigung des Betroffenen oder seiner finanziellen Interessen braucht noch nicht eingetreten zu sein. In der Regel wird das Gericht vor der Entlassung aber die Mittel der Aufsicht und des Weisungsrechts einzusetzen haben.
b) Erkenntnisse, die den Schluss darauf rechtfert...