KG Beschl. v. 8.12.2021 – 16 UF 1101/20
Leitsatz
1. Die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs kann grob unbillig sein, wenn der Ausgleichsberechtigte es in vorwerfbar illoyaler Weise unterlassen hat, für seine eigene Alters- und Invaliditätsversorgung Vorsorge zu treffen, obwohl ihm dies unschwer möglich gewesen wäre.
2. Entsprechendes gilt aufgrund der groben Verletzung der Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die bloße Nichtleistung von Unterhalt noch nicht ausreicht, um den Versorgungsausgleich auszuschließen, da dieses Unterlassen auf einer fehlenden Leistungsfähigkeit beruhen kann. Deshalb muss zur Annahme eines Härtefalls über die bloße Nichterfüllung der Unterhaltspflicht hinaus zusätzlich eine besondere Rücksichtslosigkeit hinzukommen.
3. Den Ausgleichsberechtigten trifft eine sekundäre Darlegungslast, die für das Unterlassen einer eigenen Alters- und Invaliditätsversorgung und die Leistung eines Beitrags zum Familienunterhalt sprechenden Umstände substanziiert vorzutragen und gegebenenfalls zu belegen.
4. Dies ist anzunehmen, wenn der Ausgleichspflichtige, der keinen Einblick in die maßgeblichen, allein im Einflussbereich des Ausgleichsberechtigten liegenden Tatsachen hat, schlüssig und anhand von Indizien nachvollziehbar vorgetragen hat, dass der Ausgleichsberechtigte weder für die eigene Alterssicherung vorgesorgt noch zum Familienunterhalt beigetragen hat und dieser Vortrag durch die erteilte Auskunft des Versorgungsträgers im Wesentlichen bestätigt wird.
KG, Beschl. v. 8.12.2021 – 16 WF 1101/20 (AG Schöneberg)
1 Aus den Gründen
Gründe: I. [1] Die Beteiligten streiten darüber, ob im Zuge der Scheidung ein Versorgungsausgleich durchzuführen ist.
[2] Auf den von der Antragstellerin angebrachten Scheidungsantrag, dem der Antragsgegner zugestimmt hat, hat das Familiengericht die Ehe geschieden. Hinsichtlich des Versorgungsausgleichs hat die Antragstellerin beantragt, von einer Durchführung abzusehen, weil ein Ausgleich der während der Ehezeit, dem Zeitraum vom 1.5.2013 bis zum 29.2.2020, jeweils erworbenen Anrechte grob unbillig wäre. Das Familiengericht hat, nachdem es die beteiligten Ehegatten hierauf hingewiesen hat, entschieden, dass ein Versorgungsausgleich nicht durchgeführt wird und zur Begründung darauf verwiesen, dass der Antragsgegner zwar voraussichtlich ausgleichsberechtigt sein werde, ein Versorgungsausgleich zu seinen Gunsten aber dennoch nicht in Betracht komme, weil er es vollständig unterlassen habe, in irgendeiner Weise an der Aufklärung seiner Anrechte mitzuwirken.
[3] Gegen die Entscheidung in der Folgesache Versorgungsausgleich wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er rügt, das Familiengericht habe zu Unrecht davon abgesehen, den Versorgungsausgleich zu regeln; dieser sei vielmehr von Amts wegen durchzuführen. Ein völliger oder teilweiser Ausschluss des Versorgungsausgleichs, so, wie die Antragstellerin dies fordere, komme nicht in Betracht. Denn er habe zu Beginn der Ehezeit einen Taxibetrieb unterhalten und sei daneben als Veranstaltungskaufmann im Bereich der "Promotion" u.a. für das Unternehmen ## selbstständig tätig gewesen. Aus den Einnahmen aus diesen Tätigkeiten habe er die Lebenshaltungskosten der insgesamt vierköpfigen Familie – der Antragstellerin und ihm sowie den zwei minderjährigen, in den Jahren 2014 bzw. 2016 geborenen Kindern – bestritten und insbesondere die Kosten der Miete wie auch andere Lebenshaltungskosten bezahlt.
[4] Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen. Sie hält an ihrem erstinstanzlichen Antrag fest, den Versorgungsausgleich wegen grober Unbilligkeit vollständig auszuschließen und verweist darauf, dass auch die – hier vorliegende – Verletzung der verfahrensrechtlichen Pflicht, an der Klärung der eigenen Versorgungsanrechte mitzuwirken, einen vollständigen Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach sich ziehen könne. Unabhängig hiervon sei der Versorgungsausgleich aber auch deshalb vollständig auszuschließen, weil der Antragsgegner während der Ehezeit praktisch überhaupt keine eigene Altersvorsorge betrieben habe. Zudem habe es Zeiten gegeben, in denen er weder eigene Einkünfte erwirtschaftet noch staatliche Transferleistungen bezogen oder dies wenigstens beantragt hätte. Da er auf diese Weise auch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich vernachlässigt habe, dürfe ein Versorgungsausgleich nicht stattfinden.
[5] Der Senat hat für den Antragsgegner, nachdem dieser im Beschwerderechtszug an der Klärung seines Kontos mitgewirkt hat, eine Auskunft des Rentenversicherungsträgers zu den von ihm während der Ehezeit erworbenen Anwartschaften eingeholt; danach beträgt der Eheanteil seiner Anwartschaften 0,8127 Entgeltpunkte. Allerdings sind vom Beginn der Ehezeit am 1.5.2013 bis zum 10.7.2018 im Versicherungskonto des Antragsgegners keine Entgelte verzeichnet, die zu einem Erwerb von eigenen Anrechten hätten führen können. Ab dem 11.7.2018 bis zum Ende der Ehezeit am 29.2.2020 verz...